Bericht 24h-Schwimmen Spremberg 14.6.2014

von Denise Kottwitz

Es gibt Wettbewerbe, wo man sich fragt wie diese entstanden sind, und noch mehr, was für Typen daran teilnehmen. Zu dieser Kategorie gehören definitiv 24h-Schwimmen. Wer so etwas Verrücktes initiiert hat, kann ich nicht sagen. Doch ich bin ein Wiederholungstäter beim 24h Stunden Schwimmen in Spremberg, und am Wochenende 14.06./15.06. stand dies wieder im Kalender. Eine Komplettteilnahme kam für mich diesmal nicht in Frage, da ein Familiengeburtstag anstand. Außerdem wollte ich am Großkoschener Seelauf teilnehmen, und legte so eine 18 km Laufrunde am Samstagvormittag zur Erwärmung ein. So verpassten wir den Startschuss des Schwimmens um 12.00 Uhr am Samstag, und gesellten uns am Nachmittag kurz ins Schwimmbad.

Das Ziel des Wettbewerbes ist es, soviel wie möglich zu schwimmen. Man kann als Einzelstarter oder als Mannschaft teilnehmen. Dabei dürfen Mannschaften maximal zwei Teilnehmer (in der Nacht nach Entscheidung der Wettkampfleitung auch mal drei) gleichzeitig auf die ihnen zugewiesenen Bahnen schicken. Für Einzelstarter gibt es separater Bahnen, die aber auch auf zehn Schwimmer limitiert sind. Pro Bahn sitzen zwei Wettkampfrichter, bei denen man seine Zählkarte abgibt und sich die entsprechend nummerierte Badekappe aufsetzt. Dann kann man schwimmen so viel es geht. Beim Einlegen einer Pause geht die Karte ins Wettkampfbüro, wo diese ausgewertet wird und man sie sich für den nächsten Einsatz abholen kann. Es gibt 63 Pokale zu gewinnen, wie Altersklasseneinzelgewinner und Mannschaftssieger. Zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr wird ein Nachtpokal ausgeschrieben, allerdings nicht auf Altersklassen aufgeteilt sondern nur Platz 1-3 insgesamt und als Mannschaft. Genau auf diesen habe ich es in diesem Jahr abgesehen.

Nach einigen Gläsern alkoholfreier Erdbeerbowle auf der Familienfeier breche ich auf. Eigentlich bin ich schon müde, stimmt - ich bin ja schon einen Lauf heute gelaufen. Aber dennoch ziehe ich mir meinen Badeanzug an, fülle die Thermoskanne mit Tee und reichlich Zucker, packe eine Handvoll Energieriegel ein, kontrolliere ob ich genügend Badesachen und Handtücher dabei habe, greife noch intuitiv meine Skiunterhose und nehme eine Packung Vaseline. Bei dem Wettkampf sind nämlich Neoprens und ähnliches verboten. Etwas Fett an den Händen kann das Frieren ein wenig herauszögern.

Dann fahre ich ins Schwimmbad. Auf in den Kampf gegen Müdigkeit, Kälte und Erschöpfung. Ich tapere zum Beckenrand, da fällt der Startschuss für den Nachtpokal. Da bin ich wohl etwas knapp dran, aber es sind ja noch sechs Stunden Zeit. Ich schwimme in diesem Jahr für die Wasserwacht Spremberg, den Organisatoren des Wettkampfs - die für alles Zeit und offene Ohren haben, außer fürs Schwimmen und sich daher freuen, dass ich ein paar Kilometer auf Ihr Konto schwimme.

Bahn fünf, Startnummer 44 wird für die nächsten Stunden mein zu Hause. Ich ziehe meine Badekappe an. Ach, viel hilft viel. Noch eine drüber und dann die Stoffkappe. Trinkflasche und Versorgungsbox (Energieriegel, Ersatzschwimmbrille und Vaseline) am Beckenrand platziert und rein ins kühle Nass. So ein Schwimmbecken mit Flutanlage sieht definitiv anders aus als ein normales Becken, eher wie ein Hotelpool. Auf meiner Bahn sind ein paar Jungs unterwegs, die sehr langsam Brust schwimmen. Und so vergehen die ersten Bahnen nur mit Überholvorgängen. Dann überhole ich eine andere Kraulschwimmerin, und habe etwas Freiraum. Dann beginnt das Überholspiel von vorn. Ich nehme mir vor ein paar Bahnen zu zählen, muss aber ständig über sinnvolle Überholstrategien nachdenken. Mich überholt keiner. Um 23.30 Uhr erhasche ich erstmals einen Blick auf die Uhr, die durch die Flutlichtanlage schwer zu sehen ist und freue mich über den gelungenen Einstieg.

Ich kann jetzt das Wasser einschätzen: es ist kalt, aber erträglich. Da ich aber schon jetzt ein Kribbeln in den Fingern habe konstatiere ich - das Angelkogbad ist deutlich wärmer. So entwerfe ich meine Wettkampfstrategie: bis 01.00 Uhr durchschwimmen, dann mal fragen wie viel auf dem Papier steht und dann? Ich wage mich noch nicht zu entscheiden und ziehe wieder meine Bahnen: Brustschwimmer und ab und zu die Kraulschwimmerin. Die Uhr schlägt zwölf, ich entscheide mich für einen Energieriegel. Mit zittrigen Händen öffne ich ihn, der ganze Körper zittert. Meine Fresse ist mir kalt, ich habe es vorher gar nicht gemerkt. Aber an meinem ein Uhr Ziel halte ich fest. Also runtergeschluckt und weiter geschwommen. Vor mir ein Junge mit dem verrücktesten Schwimmstil, den ich je gesehen habe: Delphinkörperschwung, Brustbeine, Kraularme in Wasserballhaltung. Aber er bleibt damit konstant am brustschwimmenden Jungen mit einer neonfarbenen Badehose. Ich glaube ich überhole die beiden alle hundert Meter, und ab und zu die Kraulschwimmerin. Da diese auch noch im Wasser ist, kann man nur damit erklären, dass wir beide das gleiche Ziel haben: Nachtpokal. Und so schwimme ich weiter. Kalt und kälter. Auch meine Füße fangen an zu kribbeln, die Hände sind schon taub. Ich kann nicht mehr unterscheiden ob ich mit dem Zeigefinger den Mittel- oder den Rindfinger berühre. Es fühlt sich an, wie eine Zentimeterdicke Hornschicht um die Finger. Gleich werde ich auf die Uhr schauen, aber da ist wieder das verrückte Schwimmstil-Neonbadehose Duo. Also erstmal überholen. Huch, was machen denn die Mädels in Bikini hier? Ist denen nicht kalt?

0.45 Uhr, gleich ist das erste Teilziel erreicht. Ich kann nicht einschätzen, was ich über habt habe. Fünftausendmeter vielleicht? Aber ich beschließe, um Punkt eins den Meterstand zu erfragen und dann die angefangenen Meter auf volle fünfhundert zu komplettieren. Ein Uhr, ich frage die Kampfrichter "Was habe ich denn?" - "Fünffünf" - "Wie Fünffünf? Fünftausendfünfhundert glatt?" - "Ja" - Perfekt, ich verlasse das Wasser. Zitternd, wie ein Tattergreis nehme ich meine Sachen und werfe den Bademantel über. Schnellen Schrittes zur warmen Dusche. Ah, die erste Entspannung. Die Dusche ist warm aber nicht heiß, also reicht diese Maßnahme nicht. Kleidung wechseln. Doch muss ich den Schrank öffnen, mit zitternder Hand gar nicht so einfach. Dann erstmal schnell ein Schluck Tee. Oh, mit Zucker habe ich nicht gespart. Trotz des Zitterns und Klapperns bin ich optimistisch und ziehe gleich einen trockenen Badeanzug an. Ich freue mich über die Skiunterwäsche und mein Körper beruhigt sich. Mit dem Tee ziehe ich zum Föhn, trockene die Haare und fühle mich schon wieder normal. Mit Wollmütze laufe ich ins Aufwärmzelt, und stelle fest, dass ich schon 40 Minuten draußen bin. Eigentlich dachte ich an eine halbe Stunde Aufwärmzeit, beschließe aber erst um zwei wieder ins Wasser zu gehen, sonst kann ich wegen Erfrierungen gleich wieder aus dem Becken klettern.

Ich hole meine Zählkarte, nehme noch einen Schluck Tee und zwinge mich wieder auszuziehen. Auf dem Weg plane ich den Rest der Nacht: Strategie A - nochmal zwei Stunden und dann was noch geht; Plan B - eine reichliche Stunde schwimmen, eine halbe Stunde Pause und nochmals eine reichliche Stunde schwimmen. Bevor ich eintauche kreme ich Hände und Füße mit Vaseline ein. Ist zwar eklig, aber es hilft. Ich will zum Beckenrand - ich Trottel! Habe die Fußsohlen miteingecremt und schlittere in meinen Badelatschen hin und her. Wie ich zur Dusche komme überlege ich mir später, jetzt erstmal Schwimmen. Ich tauche ein und beschließe sofort: Strategie B! Ich bin tatsächlich etwas aufgetaut, und spüre so etwas wie Freude beim Schwimmen. Außerdem ist meine Konkurrentin immer noch im Wasser, und da kann ich mir schon den Sieg des Nachtpokals abschreiben. Dann lieber Spaß haben. Und so ziehe ich meine Bahnen, ständig Überholvorgänge.

Meine Konkurrentin macht eine Pause, kehrt aber nach wenigen Minuten zurück. Ist der nicht kalt? Bei mir geht es weniger locker als am Beginn, ich muss öfters auf die Uhr schauen. Lege aber 03.15 Uhr als Teilziel fest. Wegen der Psychologie formuliere ich aber 15.15 Uhr und lese die Zeiten immer mit 14 Uhr… Die Kälte kriecht dennoch in die Gliedmaßen. Außerdem fangen die Schultern an zu schmerzen. Ist eine Weile her, dass ich mehr wie sechstausend Meter geschwommen bin. Doch die Vaseline scheint etwas zu helfen, die Finger werden nicht ganz so steif. Ich überhole immer wieder, meine Konkurrentin immer häufiger und teile alles in fünf Minuten Häppchen auf. Dann ist es viertel nach und ich wage nachzufragen: 8750m! Dann schwimme ich noch fünfzig Meter. Denn nur vervollständigte hundert Meter gehen in die Wertung. Nach der Wende sage ich mir, so ein Quatsch, die zweihundert Meter kannst Du auch noch schwimmen. 9000m glatt, dann raus, zitter, zitter. Dazu das Gerutsche in den Badelatschen. Wieder die gleiche Prozedur, nur das diesmal meine Oberschenkel wie verrückt zittern und ich glaube gleich zusammenzubrechen. Ach ja, der Lauf gestern. Aber nach Tee und Kleidertausch bin ich optimistisch Strategie B durchzuziehen. Also lasse ich das Haare trocknen aus, ziehe ins Wärmezelt, atme tief durch, hole meine Startkarte.

Die Vögel fangen an zu zwitschern. Bei der Zwischenauswertung, die alle zwei Stunden veröffentlicht wird, stehe ich mit 5500m als führend drin, dahinter mehrere um 5000m - also keinerlei Aussage über den Stand der Dinge, außer die Konkurrentin auf meiner Bahn, die immer noch im Wasser ist. Ich motiviere mich ein letztes Mal und springe kurz vor vier ins Wasser. Richtig aufgewärmt war ich diesmal nicht. Und ich muss oft auf die Uhr schauen. Hat da jemand den Zeiger auf 04.15 Uhr festgeklebt? Scheint nur so, zum Glück. Aber ich bin motiviert, denn ich überhole meine Konkurrentin immer häufiger - halte es aber für ausgeschlossen meine Pausenzeit durch Schnelligkeit wettzumachen. 04.35 Uhr - noch tausend, vielleicht tausend fünfhundert Meter. Ich weiß nicht wie schnell ich noch bin zu dieser Uhrzeit, und nach dieser Belastung. Aber ich frage nicht nach. Meine Konkurrentin spricht ständig mit den Wettkampfrichtern, wahrscheinlich weiß sie besser über meine Schwimmleistung Bescheid als ich.

04.50 Uhr, es ist mittlerweile hell und die Flutlichtanlage ist ausgeschalten. Noch zehn Minuten, fünfhundert Meter, 20 Bahnen. Ich zähle noch 20, 19, 18…8,7 da schreit einer vom Beckenrand, noch zwei Minuten. Ich schwimme nochmal fünfzig und frage ob ich gerade die hundert Meter voll habe. Nein, noch fünfzig Meter brüllt man mir entgehen. Ich lege einen Sprint rein, erreiche das Ziel nicht ganz - die letzten 80 Meter kommen nicht in die Wertung.

Ich bin damit offiziell 11.700 Meter geschwommen. Ich will meine Konkurrentin noch nach ihrer Kältestrategie befragen, aber sie ist schon weg. Die Zitterpartie, der Kampf um das Türschloss und das Aufatmen bei trockener Kleidung am Körper wieder holen sich. Aber es ist geschafft, einer der Frauenpokale sollte mit der Meterleistung drin sein. Ich bin froh, nicht mehr weiterschwimmen zu müssen und in der Nähe zu wohnen: statt Wärmezelt und Schlafsack gönne ich mir Vollbad und Federbett. Ich werte die Nacht noch kurz mit meinem Mann aus, der auch noch ein paar Meter schwimmen geht. Dann schlafe ich unruhig ein paar Stunden, um die letzte halbe Stunde des 24h Schwimmens im Bad zu verbringen. Die Stimmung da ist immer unglaublich. Eine Trommelgruppe heizt ein, die Mannschaften gruppieren sich um das Becken um die Teilnehmer auf den letzten Metern anzufeuern. Gänsehautstimmung pur. 10,9,8…3,2,1 peng, peng -alles vorbei.

Eine Stunde später ist die Siegerehrung, beginnend von der jüngsten Teilnehmerin (4 Jahre, 1600 m geschwommen) bis zum ältesten Teilnehmer, der weitesten Anreise, und dann alle Altersklassen. Dann endlich Kategorie Nachtpokal weiblich. Ein zusätzlicher Pokal ist zu vergeben, also zwei dritte Plätze: mit 10.000 Meter… Uff. Geschafft, ich bin auf dem Treppchen. Der zweite Platz mit elftausend… oh da bin ich… elftausend sechshundert Meter… meine Konkurrentin!!! Ich fasse es nicht mit nur hundert Metern Vorsprung erklimme ich das Siegertreppchen ganz oben. Schlafmangel und Zitterpartie haben sich gelohnt. Ich erhalte den größten Pokal meiner Sportlerkarriere und bin stolz über meine Schwimmstrategie: Pausen haben sich gelohnt. Pokale werden von den Sponsoren überreicht, die Bürgermeisterin gratuliert und heute auch Jonas. Der Kleine kämpft mit einer Leukämie, aber um ihm Nachhilfe zu finanzieren, findet eine Spendenaktion im Rahmen des Wettkampfes statt und er darf heute bei der Siegerehrung assistieren.

Gesamtbilanz des 24h-Tages: 563 Teilnehmer schwammen 2684,6 km. Die beste Mannschaft diesmal der KSC Straußberg mit 152,7km. Der beste Einzelteilnehmer 46,9 km. Mehr hier, wieder am zweiten Juniwochenende im nächsten Jahr. Und für diejenigen, die immer etwas mehr wollen, ein 48h Schwimmen, dass aber indoor - in der Schwimmhalle Spremberg.


© TriGe Sisu Berlin; 18.6.2014