Benzin – das hat nix mit Tankstellen, Erdöl oder Golfkrise zu tun, sondern ist ein winziges Kaff mit ruppigem Kopfsteinpflaster mitten im mecklenburgischen Nirgendwo. Die nächste Bahnstation liegt sieben Kilometer entfernt in Lübz (ja, da wo das Lübzer Pils herkommt) an der "Südbahn", die stillgelegt werden soll.
Stillgelegt ist hier schon so Einiges: Gewerbe ist passé, Menschen diesseits der 60 sind selten, jenseits 60 der aber auch nicht häufig, auf Bundesstraßen ist zur Hauptverkehrszeit so viel Autoverkehr wie in Steinstücken nachts um 2:00 Uhr – aber es gibt zwei Bäckereien, die auch am Sonntag geöffnet haben – zu echten Nirgendwo-Preisen: Zwei Stücken Kuchen plus Kaffee für weniger als vier Euro!
Hier im Nirgendwo findet seit 2013 der Mecklenburg-Giro statt – ein 180 km langes Jedermann-Radrennen, das in diesem Jahr mit der Teilnahme am German Cycling Cup, der deutschen Jedermann-Bundesliga des Bund Deutscher Radfahrer (BDR), geadelt und gleich mal auf 165 km gekürzt wurde.
Start ist in der Alten Ziegelei in Benzin – also wenn man in dem Kaff Benzin auf eine noch kleinere Straße abbiegt und denkt, jetzt ist man in der totalen Verlassenheit angekommen, dann kommt die Ziegelei. Sie präsentierte sich am Rennvortag – einsam. Lediglich ein paar vereinzelte Starter und Offizielle sind zu sehen. Dafür hat sich Petrus gedacht: Wenn hier schon alles so wenig ist, dann lasse ich es wenigstens viel regnen!
Ich zelte auf durchweichtem Acker und – oh Wunder – morgens trifft Starter um Starter ein, und der Regen legt eine Verschnaufpause ein. Pünktlich um 9:00 Uhr erfolgt der Startschuss. Wir sind jetzt 450 (!), die gemeinsam auf eine 75 und die 165 km lange Runde starten. Gemeinsam rasen wir auf fahrzeugbreitem Asphaltband auf das erste Kopfsteinpflaster zu und bremsen gemeinschaftlich auf Schritttempo ab – die teuren Carbonfelgen sind zu schonen!
So geht es 70 km weiter, sobald ein Fahrbahnunebenheit, Kopfsteinpflaster oder eine Fahrbahnverengung auftaucht, wird ordentlich abgebremst und danach schnellstmöglich wieder auf jenseits der 40 km/h beschleunigt. Schätzungsweise 25 bis 30 Mal auf diesem ersten Streckenteil.
Dann gibt es die Feldteilung und sofort steigt das Tempo rapide an. Konnte ich vorher immer mal auch eine drei auf meinem Tacho sehen, fahren wir jetzt immer jenseits der 40 km/h. Vorne haben die Jedermann-Teams das Kommando übernommen und sorgen für Ruhe im Feld. Ich rolle einfach mit, verausgabe mich in den Sprints nach Kurven und Kopfsteinpflasterpassagen, wenn das Tempo kurzzeitig jenseits der 50 km/h liegt. Dafür entspanne ich innerlich: War ich auf den ersten 70 km die ganze Zeit verkrampft bremsbereit, bin ich jetzt wieder ganz ruhig und auf das Rennen konzentriert.
Bei Km 130 passieren wir ein Dörfchen, in dem es nicht ein- oder zwei-, sondern fünf- oder sechsmal links rechts geht. Das Feld ist nur noch eine langgezogene Kette von Fahrern und was passieren muss, passiert: Überall reißen Lücken. Zwei, drei kann ich noch zufahren, dann bin ich allein auf weiter Flur. Vor mir entschwindet das Restfeld von rund 45 Fahrern und von hinten schließen noch drei Fahrer auf. Dann sind wir allein. Im inzwischen ergiebigen Regen fighten wir uns zurück nach Benzin, wo uns ein Fahrer auf dem Kopfsteinpflaster noch entwischt. Dann sind wir nach vier Stunden wieder da.
Fazit: Ich lebe noch, meine Haut ist verschrumpelt wie nach zu langem Baden, mein Rücken tut weh und ich bin saudreckig. Ob ich Spaß hatte und das wieder mache? Fragt mich in einer Woche noch einmal. Mecklenburg-Giro in Benzin ist so eine Sache, die man sacken lassen muss.
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