Irgendwie in die Sonne, vielleicht sogar ein Laufwettkampf – so waren die Vorstellungen, unseren 20. Hochzeitstag zu verbringen. Wie gerufen fand die Challenge Cyprus in diesem Jahr genau zu diesem Zeitpunkt statt. Bei der Veranstaltung handelt es sich um ein viertägiges Etappenrennen mit Laufstrecken von 6 bis 21 Kilometern im westlichen Teil von Zypern. Eventhotel ist das Coral Beach nahe der Stadt Paphos. Wir buchen dieses im Rahmen einer Pauschalreise mit Flug, das Laufpacket mit Shuttleservice ordern wir direkt beim Veranstalter.
Am Vormittag holen wir entspannt unsere Unterlagen ab, Mittag gib es ein Briefing. Hier erfahren wir, dass es auf Grund einiger Wetterkapriolen Änderungen bei den Läufen geben wird. Kurz nach dem Start um 15 Uhr wird Regen erwartet. Damit die Teilnehmer nicht lange am Start rumstehen müssen, wird heute jede Sekunde statt alle 10 Sekunden gestartet. Die Strecke des Berglaufs und des Halbmarathons müssen wegen Sturmschäden und unpassierbaren Wegen auf Grund starker Regenfälle umgeplant werden – Wiederholungstäter berichten uns später, dass gerade der Halbmarathon deutlich schwerer zu bewältigen war als sonst.
Doch zurück zum ersten Tag. Der Start findet auf der Hotelanlage statt. Hier treffe ich Katja und Jürgen aus Paderborn, sie sind wiederholt dabei und kennen sich aus. Der Regen lässt sich nicht lumpen und taucht pünktlich zum Start auf. Aber bei knapp 20 Grad Lufttemperatur wollen wir mal nicht meckern. Ich ordne mich weiter hinten beim Start ein. Es geht in einem kleineren Anstieg um das Hotel herum, dann die Küstenstraße nach Westen hinaus, mit ein paar Abstechern durch Bananenplantagen. Genießen der Strecke ist nicht, denn der Regen wird immer heftiger, und es peitscht einem ein ordentlicher Wind entgegen. Ich versuche, ein gutes Tempo zu laufen, ohne aber irgendwie kämpfen zu müssen – denn es folgen ja noch drei Läufe. In knapp 28 Minuten bin ich im Ziel, sogar etwas schneller als ich mir vorgenommen habe. Später erfahre ich, dass ich damit die Altersklasse deutlich anführe.
Im Ziel scheint die Sonne wieder, es gibt Bananen und Rosinen und man hat einen bizarren Anblick auf ein Schiffswrack. Dort treffen wir noch Danny aus Sachsen-Anhalt, der schon mehrfach die Challenge mitgelaufen ist, und das weit vorn auf einem Top Ten Platz. Beatrice aus der Schweiz ist dagegen das erste Mal dabei – zusammen mit den Paderbornern werden wir die nächsten Tage eine lustige Gruppe bilden. Da das Wetter jetzt wieder schön ist, laufen wir zurück zum Hotel – obwohl es natürlich auch einen Bus gibt.
Lange Regenerieren und ausführliches Frühstück stehen nicht auf dem Programm, denn die Busse zum Start fahren schon kurz nach acht. Frohen Mutes geht es die Berge zum kleinen Ort Pano Arodes hinauf, das durch eine kleine Dorfkirche besticht. Ursprünglich sollte die Strecke vom Meer hinaufgelaufen werden, 11 km bergan. Ich bin gar nicht böse, dass heute erstmal die Hälfte bergab gelaufen werden kann. Es gibt die Möglichkeit, 15 Minuten eher zu starten für Läufer, die sich nicht so stark einschätzen. Ich laufe dann im großen Feld los. Es geht gleich steil bergab – richtig steil!
Anfangs laufen wir auf der Straße, die zudem noch etwas nass ist. Bin ich froh, als es bald etwas flacher wird. Die Sonne strahlt und es gibt herrliche Ausblicke auf das Meer. Diesem fliegt man entgegen. Ich bin schneller als am Vortag unterwegs, der Puls ist ruhig. Dass meine Beine nicht gewohnt sind, eine halbe Stunde bergab zu laufen, werde ich erst später merken. Im Moment habe ich Spaß und genieße den Ausblick. Ich nehme mir Zeit für ein paar Fotos, die Einbiegung in den Anstieg beeindruckt mich besonders. Da hoch zu dem Dorf, da soll es hingehen. Ich habe nur ein Ziel: durchlaufen, was mir gelingen wird. Damit bin ich deutlich schneller unterwegs als die meisten um mich herum. Durch die Frühstarter ist das Feld etwas schwer einzuschätzen, aber ich überhole sicher 30 Frauen. Schade, dass es keine Zwischenzeit gibt. Um mich rum gibt es einige, die mich in schnellem Laufschritt überholen, dann aber schnaufend gehen müssen.
Ich rechne nach: Im Intervalltraining würde das sechs bis zehn Mal gutgehen, und tatsächlich brechen die meisten dann weg. Außer ein älterer Herr, der aber dann auch meine Technik übernimmt, und so kämpfen wir gemeinsam die letzten Meter Richtung Ziel. Vor dem letzten Anstieg steht Danny und feuert noch mal richtig an. Ich bleibe für die Strecke sogar noch unter einer Stunde und liege überraschenderweise weiterhin in der AK vorn. Dabei fühle ich mich, als wäre ich gut unter meinen Möglichkeiten geblieben und schaue optimistisch auf die nächsten Tage.
Zeitiges Aufstehen und Abfahrt schon kurz vor acht – alles kein Problem. Wenn da nicht die Außenseiten der Schienbeine wie Hölle schmerzen würden. Der Berglauf zeigt seine Spuren. Die Busfahrt geht an die Nordseite der Insel, zu dem kleinen Ort Neo Chorio, um im Akamas Nationalpark einen Halbmarathon zu laufen. Die veränderte Streckenführung hat es in sich: 13 km bergauf, dann wieder bergab. Nicht nur ich habe die falsche Vorstellung, dass sich die 500 Höhenmeter gemächlich verteilen würden – um es vorwegzunehmen: es wird steil, egal ob hoch oder bergab. Gerade geht es nur auf der Ziellinie.
Ich habe wieder vor, die Strecke durchzulaufen und irgendwie zu genießen. Nach dem Start geht es kurz bergab, dann gleich steil bergauf. Selbst Beatrice ist gefordert, und deren Hausstrecke in der Schweiz hat 1500 Höhenmeter! Die Masse der Teilnehmer geht schon, ich setze mechanisch einen Fuß vor den anderen. Der Puls ist OK, die Fußgelenke schmerzen – aber nach etwa 20 Minuten sind auch diese aufgewärmt, und so kämpfe ich mich Meter um Meter nach oben. Ein bisschen Wald, dann atemberaubende Blicke aufs Meer. Ich muss immer wieder ein Foto machen. Bremst sicher ein paar Sekunden, hilft aber enorm entspannt zu bleiben. So überhole ich einen Läufer nach dem anderen und bin froh, ein etwas ruhigeres Tempo eingeschlagen zu haben.
Auf dem Gipfel gibt es eine Wasserstation, dann geht es bergab. Steil eine Straße herunter. Atemberaubend – und schmerzhaft! Bergablaufen ist echt nicht meins, aber auf dem Asphalt finde ich denn eine gute Haltung und habe tatsächlich Spaß. Dennoch muss ich mich von ein paar Leuten überholen lassen. Besonders, als wir die Straße verlassen und die Feldwege noch steiler nach unten führen. Mein Herz macht einen Luftsprung, als doch noch mal ein paar kleine Anstiege kommen. Die Beine schmerzen weniger und ich hole die meisten wieder ein, die mich gerade überholt haben. So geht das noch zwei bis drei Mal.
Kurz vor dem Ziel geht es noch mal steil nach unten, um dann zum Dorf noch mal hochzuklettern. Ich habe noch Kraft und überhole im Zielanstieg noch fünf Teilnehmer. 2 Stunden und 11 Minuten habe ich für die Strecke gebraucht. Ich halte nach meinen Konkurrentinnen Ausschau, kann sie aber nicht finden. Die Ergebnisliste offenbart, dass ich heute wohl doch zu viel gebummelt habe. Mein komfortabler Vorsprung in der Altersklasse ist geschmolzen: nur noch 25 Sekunden vor der Drittplatzierten Carla und nur eine Sekunde vor Marina, meiner direkten Verfolgerin. Da werde ich am letzten Tag noch mal kämpfen müssen, doch daran ist jetzt gar nicht zu denken.
Ich kann kaum einen Schritt vor den anderen machen. Zum Glück geht es allen anderen auch so. Das Aussteigen aus dem Schuttlebus ist mit reichlich Gelächter verbunden. Dummerweise brennts bei mir wieder an der rechten Fußsohle, die Plantarfaszie hat mich ja schon im August mal zur Laufpause gezwungen. Also Massage, Dehnen, locker Schwimmen, etwas Herumspazieren, Schlafen, Sauna, Whirlpool, Rumliegen, gutes Essen und kein Tropfen Alkohol – obwohl ich eigentlich nicht so streng damit sein wollte. S... Ehrgeiz!
Heute geht es schon um sieben los, denn um acht geht der Startschuss für den Lauf durch die Innenstadt von Paphos. Da mir nur noch die Schienbeine wehtun und keine Bergab-Passagen im Plan stehen, bin ich guten Mutes. Das Einlaufen ist auch OK. Als Triathletin ist man ja gewöhnt, mit müden Beinen zu laufen. Meine Konkurrentinnen kann ich auch endlich ausmachen, leider die mich auch. Ich bin etwas eingeschüchtert, denn Carla hat eine Läuferfigur wie sich im Buche steht, Ihre Beine reichen mir bis zur Brust! Meine Strategie: erstmal entspannt hinter den beiden loslaufen und dann mal sehen.
In morgendlicher Stimmung geht es um das Hafenbecken herum. Marina ist mir gleich zu langsam, ich laufe vorbei und bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht mehr zur Gefahr wird. An Carla bin ich auch vorbei, traue mich dann aber nicht mehr zurückzuschauen – nur direkt an mir dran ist sie nicht, dass kann ich aus den Augenwinkeln wahrnehmen. Der erste Teil der Strecke geht leicht bergan, der zweite logischerweise dann wieder bergab. Ansonsten gibt es eigentlich nichts Schönes an der Strecke, Paphos ist wie viele Urlaubsorte am Mittelmeer. Zuschauer gibt es auch so gut wie keine. Aber ich tue mich ab der Hälfte mit einem Läufer in schwarzem T-Shirt zusammen, und wir ziehen uns immer wieder gegenseitig, was richtig Spaß macht.
Als bei Kilometer sieben Carla noch nicht vorbeigelaufen ist, bin ich mir sicher, dass sie die 25 Sekunden für die Gesamtwertung nicht mehr schaffen wird. So beflügelt kämpfe ich mich ins Ziel, wobei die Beine tatsächlich weniger als im Triathlon schmerzen und ich sehr zufrieden mit meinem Pacing bin, da ich nur auf den letzten 500 Metern richtig zu kämpfen habe. In guten 47 Minuten laufe ich durch den Zielbogen, Carla kommt 10 Sekunden nach mir ins Ziel. Geschafft! Ich nehme stolz meine Medaille und finde so einen guten Abschluss des hiesigen Wettkampfjahres, denn gerade mit meiner Laufleistung war ich gar nicht zufrieden.
Es gibt Bier im Ziel (also für mich morgens um neun keine Option), und es wird ein riesiges Gruppenfoto der Challengeteilnehmer gemacht. 243 Athleten sind erfolgreich über alle Etappen gekommen, davon 83 Frauen und sogar zwei über Achtzigjährige – Respekt! Am Stadtlauf konnte man unabhängig vom Etappenrennen teilnehmen, so dass hier noch etwa 50 weitere Läufer unterwegs waren.
Unsere kleine Sechsergruppe trifft sich erstmal zum zweiten Frühstück, dann ist Entspannen angesagt. Denn am Abend gibt es noch ein Gala Dinner mit Siegerehrung. Hier teilen wir uns den Tisch mit drei Triathleten aus Bayern, die gerade zum Radtrainingslager auf der Insel sind und das Etappenrennen mitgenommen haben – verrückter geht immer. Ich darf mir zwei Pokale für den Altersklassensieg abholen, einen für den Stadtlauf (ich glaube, weil der extra ausgeschrieben war, wurde der extra gewertet) und einen für die Gesamtwertung. Nach sehr gutem Essen und Folkloreunterhaltung, geht es mit schmerzenden Füßen ausgelassen auf die Tanzfläche.
Fazit: großartige Landschaft, großartiges Wetter und großartige Leute. Was will man mehr? Danke an Beatrice, Katja, Jürgen, Danny und Andreas für den gemeinsamen Spirit!
Die Eventseite findet man hier, und wenn es demnächst beim Rolle fahren etwas trübe wird, hier gibt es das ganze Event als Film.