von Dirk Bettge
Beim Gemüse heißt es ja immer, man soll möglichst lokale Produkte kaufen, z.B. auf dem Wochenmarkt. Das macht kurze Transportwege und fördert das lokale Gewerbe. Natürlich kann man Äpfel aus Neuseeland kaufen (die sind noch nicht einmal teurer), muss man aber nicht. Mit technischen Produkten ist es im allgemeinen komplizierter, aber bei Rennrad-Laufrädern haben wir in Berlin und Brandenburg tatsächlich die Möglichkeit, lokal zu handeln. Eins vorweg: Dies ist kein Testbericht und auch kein Vergleichstest, sondern es sind meine persönlichen Erfahrungen aus den letzten 12 Jahren.
Die Firma Citec produziert in der Nähe von Beelitz, südlich von Berlin, unsere sommerlichen Radausfahrten kommen da oft fast vorbei. Angefangen haben sie Ende der 1980er Jahre mit einem Scheibenrad unter dem Namen "Carbotec", damals noch im alten West-Berlin. Eine Alu-Felge wurde mit Carbonmatten unter Vorspannung mit der Nabe verbunden, das ergab ein damals sensationell leichtes Scheibenrad, manch älterer Triathlet hat vielleicht sogar noch eins in seiner Sammlung, manche werden noch gefahren. Die Konstruktion wurde verfeinert, und weitere Laufräder kamen hinzu.
Bis heute stechen m.E. zwei Merkmale der Laufräder heraus: Alu-Bremsflanken und geringes Gewicht. Der Trend mag ja auch am Straßen-Rennrad zu Scheibenbremsen gehen, aber für Felgenbremsen sind Carbon-Bremsflanken einfach problematisch, auch wenn sich hier einiges getan hat. Trotzdem sind praktisch alle namhaften Laufrad-Hersteller zu Vollcarbon-Konstruktionen übergegangen – bis auf Citec. Auch in den Scheibenbrems-Varianten steckt die Alu-Felge, farblich kaschiert. Dass das Sinn macht, zeigen die geringen Gewichte der Laufräder mit teils erstaunlich wenig Speichen. Die aktuellen 80 mm-Aerolaufräder sind ca. 250 g leichter als die neuesten Zipp 808 Firecrest oder NSW, haben weniger Speichen und sind trotzdem sehr seitensteif. Die aktuelle Scheibe liegt in der teureren Variante bei 825 g, Zipps Super 9 bei 1175 g. Wie geht das?
Wie können diese Laufräder so leicht sein und gleichzeitig steif und dauerfest? Das liegt an einigen konstruktiven Merkmalen, die leicht übersehen werden. Klassische Speichen werden an der Nabe durch Löcher gesteckt und an der Felge mit Nippeln befestigt und gespannt, die üblicherweise aus der Felge hervorschauen, so dass man den Nippeldreher ansetzen kann. An diesem Prinzip ist nichts Schlechtes – bei guter handwerklicher Ausführung mit hoher Vorspannung ist alles gut. Bei Citec haben die Speichen an beiden Enden Gewinde und werden an der Nabe in sog. Passhülsen geschraubt, die wiederum in die Nabe geschraubt werden, s. Bilder oben. Diese Verbindung ist steif, spielfrei und verträgt hohe Vorspannungen. Diese Technik ist m.W. patentiert.
Hinzu kommen Nabenflansche, die soweit wie möglich auseinander liegen, und am Hinterrad (seit Einführung der nochmals breiteren 11fach-Freiläufe) eine Einspeichung mit links halb so viel Speichen wie rechts. So kann die Vorspannung links hoch genug sein, so dass sich im Betrieb nichts löst. Die mangelnde Vorspannung links ist sonst ein großes konstruktives Problem. Dieses Prinzip ist nicht neu und steht jedem Hersteller offen. Die Nabenflansche stellt Citec vermutlich selbst her, ansonsten basieren die Naben auf den DT Swiss 240.
Ein weiterer Kniff ist die Anordung der Nippel an der Felge. Die Felgenprofile lässt Citec nach eigener Konstruktion fertigen. Dazu gehört der Steg auf der Unterseite des Profils im Innern, s. Bild oben links. Die Nippel setzen in der Felge darauf auf und können sozusagen balancieren, so dass die Verbindung zur Speiche keine Biegung abbekommt. Das aktuelle Profil hat die jetzt üblich gewordene Tubeless-Form mit zwei flachen Schultern und einer Vertiefung in der Mitte. Diese Felge sitzt vermutlich (das weiß ich aber nicht genau) in allen aktuellen Laufrädern mit 18 mm Maulweite, auch in den Scheibenrädern.
Was Aerodynamik betrifft ist m.E. immer noch Zipp die Referenz. Praktisch alle aktuellen Trends bezüglich Felgenquerschnitt stammen von Zipp, die seit vielen Jahren daran entwickeln und auch im Windkanal arbeiten. Übrigens war auch das allererste Zipp-Laufrad eine Scheibe. Die meisten anderen Hersteller übernehmen, sofern sie nicht selbst im Windkanal messen, nach einer Weile die Formen von Zipp, und ich denke, Citec macht das auch so. Sie machen teilweise CFD-Simulation (Computational Fluid Dynamics) im Computer und zeigen die bunten Bilder auch gern. Der aktuelle Stand der Technik besagt jedenfalls, dass Aero-Felgen bauchig sein sollten, in der Mitte etwas breiter als der Reifen, und auf der Innenseite breit gerundet. So sehen auch die aktuellen Citec-Aero-Laufräder aus. Diese Profile können mit 25mm-Reifen gefahren werden, 23er sind aber am besten. 20mm-Reifen sind gerade komplett ausgestorben, die waren ideal für die etwas schmaleren Felgen bis vor ein paar Jahren.
So – das war eine lange Vorrede, aber ihr habt ja Zeit, weil ihr aktuell eh nicht schwimmen dürft. Warum erzähle ich das alles? Mittlerweile kümmere ich mich familienintern um 4 Triathleten und ihre Technik, und mir fiel auf, wie viel Geld Citec an uns schon verdient hat. Aber ich glaube, es ist gut angelegt. Außerdem die Unterstützung der lokalen Industrie, s.o., dazu gehört natürlich auch, dass unser fußläufiger Radladen des Vertrauens (Bikeline) die Leute bei Citec kennt und auf Zuruf besorgt, was ich haben möchte. Im Folgenden möchte ich einfach zeigen, was uns untergekommen ist und wie es sich bewährt hat.
Die klassischen Hochprofil-Laufräder, die wir zuerst im Einsatz hatten, waren die 3000 Aero mit 30 mm Felgenhöhe und der klassischen Rennrad-Maulweite von 13 mm, die Naben sind im Kern Shimano Ultegra, also bei weitem nicht so leicht wie die neueren DT 240. Die ersten 3000er waren bei meiner ersten Zeitfahrmaschine von Cube ab Werk dabei. 16 Speichen vorn und hinten und versenkte Nippel, sehr cool. Es gab immer auch eine Variante für 26 Zoll-Räder (650C mit 571 mm Felgendurchmesser), das war ja in den 80er Jahren weit verbreitet im Triathlon. Zu unserer Zeit gab es 650C eigentlich nur noch bei kleinen Rahmengrößen wie Susis Rad oben rechts. Diese Konstruktion ist sogar älter mit nicht-versenkten Nippeln. Diese Laufräder funktionieren über viele Jahre problemlos. Auf Dauer verschleißen natürlich die Bremsflanken und die Lager. Beides kann man im Prinzip ersetzen, aber nachdem ich beim Wechseltraining auf mein Rad gefallen bin und einiges beschädigt habe, habe ich die 3000er in Rente geschickt. Das Vorderrad bleibt in Reserve für Wettkämpfe mit extremem Seitenwind.
Scheibenräder sind einfach faszinierend und aerodynamisch das Optimum, allerdings nicht bei allen Wettkämpfen erlaubt. Dies ist die etwas preiwertere Citec-Scheibe von 2012 mit 15 mm Maulweite, wie alle Citec-Scheiben hohl und mit Carbonmatten verspannt. Man könnte das Ding in einer Band benutzen, klingt nicht schlecht, wenn man drauf rumklopft. Sehr schön ist der Sound im Wiegetritt, da weiß jeder Vordermann, dass da was schnelles kommt. Das Gewicht liegt bei gut 1.000 g, ist also kaum schwerer als ein gespeichtes Rad. Etwas fummelig ist der Zugang zum Ventil, und ich habe auch nicht verstanden, warum die Öffnung auf der rechten Seite sein muss. Der Schlauch muss ein 40er Ventil haben, das darf man nicht vergessen bei der Zusammenstellung des Reparatur-Kits, außerdem braucht man zum Pumpen einen sog. Pfeifen-Adapter, also ein Winkelstück, und für die CO2-Kartusche ebenfalls einen Adapter, der klein genug ist, dass er in die Öffnung passt. Bislang hatte ich noch nie einen Platten mit der Scheibe. Seitenwind ist am Hinterrad eher kein Problem, der greift am Vorderrad viel stärker in die Lenkung ein. Gefährlich wird's erst bei Sturm. Wenn man also eine Scheibe hat, sollte man sie in jedem Wettkampf fahren. Als reines Wettkampfmaterial kann ich an der Scheibe bislang wenig Verschleiß erkennen, sie funktioniert tafellos.
Neben Rennrad-Laufrädern baut Citec auch welche für MTBs/Gravelbikes und für Trekking/Stadträder. Die MTB-Laufräder sind konstruktiv wie die Rennrad-Laufräder gebaut, haben aber breitere Felgen ohne Bremsflanken. Sieht sehr racy aus, ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich optimal ist. Die recht leichtgewichtigen Felgen verbiegen sich bei Durchschlägen im Gelände gern, möglicherweise auch wegen der geringen Speichenzahl. Das Nachzentrieren wird dadurch ebenfalls erschwert. Die Felgenhörner dellen bei Durchschlägen auch gern mal ein, das kann man vorsichtig geradebiegen, aber ganz wie neu wird es nie. Die Maulweite von 19 mm ist heutzutage eigentlich zu klein, ich denke, da müsste mal eine modernere Felge her. Das aktuelle Vorderrad hat wieder mehr Speichen. Einige Laufräder (darunter auch die 3000 S Aero) gibt es auch mit Nabendynamo.
Die 6000CX (Bild oben links) waren m.W. die ersten Citecs mit Carbonfelgen. Die ersten Varianten Anfang der 2000er Jahre waren Vollcarbon mit aufgeklebten bzw. aufgenieteten Alu-Bremsflanken. Die wurden vom tour-Magazin gnadenlos kaputt-getestet und als Sicherheitsrisiko gebrandmarkt, wahrscheinlich zu Recht. Daraufhin wurde die Konstruktion umgestellt auf eine klassische Konstruktion mit Alufelge und angesetzter Carbon-Verkleidung. Die Speichen sind trotzdem in der Felge eingehängt und laufen durch Bohrungen im Carbonteil. Beide Felgenteile sind kraftschlüssig verklebt, so dass der Carbonteil mit trägt, da klappert nichts. Während die (noch aktuellen) 6000CX recht schmal sind, haben die im rechten Bild gezeigten 8000 CX/53 erstmalig die heute übliche breite bauchige Form, hier noch mit 16 mm Maulweite. Diese Laufräder sind m.E. neben der Scheibe die ersten wirklich guten Aero-Laufräder von Citec. Sie kombinieren die hauseigenen Patente mit der von Zipp erarbeiteten äußeren Form. Beide Laufräder funktionieren unauffällig und recht leise.
In den letzten Jahren sind die Rennrad-Laufräder und -reifen immer breiter geworden, wobei breit natürlich relativ ist. Waren früher 20mm-Reifen Standard, dann bis vor kurzem 23er, so ist heute 25 mm die Standardbreite. Durch Einführung der Scheibenbremse fallen außerdem die Limitationen durch die Bremszangen weg, so dass Rennräder mit Reifen bis 30 mm gefahren werden. Damit das aerodynamisch keine Nachteile bringt, mussten auch die Felgen breiter werden. Jetzt aktuelle Rennradfelgen haben Maulweiten um die 19 mm im Gegensatz zu den vor 20 Jahren üblichen 13 mm.
Citec hat seit 2019 Felgen mit 18 mm Maulweite und stattet offenbar Zug um Zug das gesamte Programm damit aus. Im Bild oben links ist das neue 3000 S mit der neuen Felge abgebildet. Das Set-Gewicht liegt jetzt bei 1330 Gramm, auch dies leichter als ein Zipp 202 zum dreifachen Preis. Darauf aufbauen tun beispielsweise die aktuellen 8000 CX/63, die sich jetzt in meiner Zeitfahrmaschine drehen und nach 17 Jahren die Xentis Mark 1 ersetzen, die als Wettkampfmaterial nicht mehr wirklich zeitgemäß sind (obwohl sie toll aussehen). Die Aufkleber lassen sich übrigens recht leicht entfernen und durch eigene ersetzen. Citec liefert auf Wunsch auch komplett ohne Aufkleber.
Was bleibt noch zu sagen? Die Preise sind m.E. OK, seht auf der Citec-Website nach. Sicherlich teurer als China-Importkram, auch teurer als Kyzr oder Veltec, aber billiger als Zipp oder Enve, dafür technisch top und in dieser Form etwas besonderes. Im Schadensfall kann man selbst oder der Verkäufer die Räder zur Reparatur schicken. Wer sich das zutraut, kann auch Ersatzteile wie Felgen und Speichen zum Selbstbau bekommen.
Was wird die Zukunft bringen? Der Trend zur Scheibenbremse ist in voller Fahrt, und es ist derzeit unklar, ob die Felgenbremse langfristig überleben wird. Mit der Scheibenbremse ist so etwas wie eine Alu-Bremsflanke nicht mehr nötig, außerdem kann die Felgenform aerodynamisch freier gestaltet werden. Das kratzt natürlich am Geschäftsmodell von Citec, aber ich bin sicher, dass die noch ein paar Trümpfe in der Hinterhand haben. Außerdem bin ich nach wie vor für die Unterstützung der lokalen Industrie.