von Denise Kottwitz
Wie im letzten Jahr sollte im Herbst wieder ein Kurzurlaub mit Marathon in Frankreich auf dem Programm stehen. Bei der Recherche stoße ich auf den "Marathon du Cognac", der bei meinem Mann sofort auf große Begeisterung stößt – der Liebhaber geistiger Getränke vermutet sicher warum. Der Lauf findet in und um Jarnac statt. Da diese 5000 Seelen-Gemeinde nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten bietet, planen wir unseren Aufenthalt im 15 km entfernten in Cognac. Diese Kleinstadt mit ca. 20.000 Einwohnern liegt etwa 130 km nördlich von Bordeaux.
Wir reisen mit Flugzeug und Mietwagen an, und kommen so schon in den Genuss der Weinberge. Dieser ist allerdings etwas getrübt, da sich seit Wochen ein hartnäckiges Regengebiet über Südfrankreich hält. Wir sehen viele Überschwemmungen und stellen uns schon auf einen regnerischen Lauf ein. Der Cognac ist ein Branntwein, der nur aus Trauben der Region hergestellt werden darf. Daher findet man hier die Keller der bekanntesten Marken der Welt auf kleinstem Raum! Schon allein in dieser Stadt scheint es mehr Cognac Produzenten zu geben als Marathons in ganz Frankreich.
Wir fahren am Vortag nach Jarnac, um die Startunterlagen abzuholen und uns die Gegebenheiten anzuschauen. Am Start/Zielbereich herrscht reges Treiben und viele kleine Schilder weisen den Weg. Als wir allerdings in der Straße angekommen, wo es die Unterlagen geben soll, sind wir ratlos. Da steht nur ein Schild ("Dossards"), das in beide Richtungen zeigt. Wir fragen ein paar Einheimische: die einen meinen links, die anderen rechts. Wir wählen die linke Variante – erfolgreich.
Schnell erhalten wir unseren Startbeutel: neben der chipintegrierten Nummer, etwas Werbung und einem Keks ist in einem weißen Plastiksack ein Weinstock zum Einpflanzen drin, und – wie sollte es anders sein – eine Flasche Cognac!
In einem Nebenraum findet die verrückteste Marathonmesse statt, die ich je gesehen habe. Mit einem breiten Angebot an Wein und Likör wird man zu den Ständen gelockt, wo sich vor allem Laufveranstaltungen der Region präsentieren. Wir lehnen den Alkohol ab, was aber den Präsenter des Marathon du Medoc nicht davon abhält sich selbst dreimal nachzuschenken, während wir uns unterhalten. Beim Marathon du Blaye ist eine Flasche Rotwein, eine Flasche Weißwein und der Genuss von drei Austern im Startgeld enthalten. Wir interessieren uns eher für Fragen wie Teilnehmerzahl und Streckenführung und ernten damit mitleidige Blicke, erhalten aber immer ausführliche Informationen und beginnen schon vor dem Start den nächsten Lauf ins Auge zu fassen.
Am Rennmorgen ist trockenes Wetter vorhergesagt, dafür ist es kalt. Mit drei Grad eigentlich sehr kalt, aber blauer Himmel und Sonnenschein. Das Parken ist durch Einweiser und Polizei gut geregelt, allerdings können wir das Auto nur ca. 2 Kilometer vom Start abstellen. Somit hat sich das Einlaufen zum Start auch geregelt. Dort ist es recht lustig: man sieht viele Verkleidungen. Besonders hübsch finde ich die Gruppe Kellner, die mit Weste und Fliege an den Start gehen. Auch schön der Läufer, der sich ein Kleid aus Medaillenbändern gebastelt hat. Der Typ mit den Gummistiefeln geht wohl nur auf die 11,5 Kilometer Strecke, die neben dem Halbmarathon und ein paar Kinderläufen am Nachmittag auch mit angeboten wird.
Der Startschuss fällt für etwa 500 Marathonis und mit einer Truppe von Weinfässern, Hexen und Piraten geht es los, schön locker genieße ich erst mal die Atmosphäre. Dann nehme ich mein geplantes Tempo auf: ich will in etwa den 5:10er Schnitt vom letzten Jahr laufen, da das Training vergleichbar war. Aber lieber etwas lockerer, um sicher zu gehen und die Atmosphäre des Laufes zu genießen.
So geht es auf den ersten Kilometern ein kleines Sträßchen durch ein paar Siedlungen, die Sonne wärmt vom Himmel. Bei Kilometer fünf passieren wir den Fluss Charente und ich sehe auf der linken Seite ein hübsches Chateau. Ich erfreue mich an diesem Anblick bis ich sehe, dass wir dort bergan laufen müssen. Der Anstieg ist von kurzer Dauer und ich schaffe es ohne den Puls in die Höhe zu treiben. Dann erspähe ich den Namen "Grand Marnier" am Eingang des Schlösschens: Aha, hier kommt also der berühmte Likörwein her.
Weiter geht es durch die Weinberge Richtung Jarnac zurück. Dort wartet eines der Highlights des Laufes: die Strecke geht durch die Kellerei von Louis Royer. Am Eingang ist eine große Palette von Cognac Sorten zum Kosten aufgebaut, so viele dass ich Schwierigkeiten habe einen Becher Wasser zu finden.
Dann geht es auf rotem Teppich an den gestapelten Cognac-Fässern vorbei. In den Kurven werden ein paar besonders schöne Flaschen präsentiert, die einem wie ein Goldschatz entgegen leuchten. Ich grübele etwas darüber nach, wie viel so eine Flasche wohl kosten möge? In der Luft liegt ein schwerer Duft nach Cognac, der über die Verdunstungen während der Reife entsteht: ca. 2% der jährlichen Cognac Produktion gehen über die Luft verloren. Das entspricht etwa 20 Millionen Flaschen und dieser Verlust wird hier als "Anteil der Engel" bezeichnet. Und eine nasale Dosis sollte doch auch für einen Marathonläufer erlaubt sein.
So gestärkt geht es aus dem Ort heraus durch kleine Dörfchen. Ich erfreue mich am blauen Himmel, den netten Örtchen und dem gleichmäßigen Schritt. Ich finde erst Gesellschaft von zwei Frauen, nach einer Pinkelpause (ja, es ist trotz Sonne immer noch recht kühl) eine Dreiergruppe. Da melden sich etwa bei Kilometer 17 am linken Fuß die Zehen. Ein Krampf wie ich ihn nur vom Schwimmen kenne. Im Lauf kann ich ihn nicht lösen, also muss ich zweimal anhalten, ja sogar den Schuh ausziehen. Die Dreiergruppe zieht von dannen. Ich grübele über mögliche Fehler: Tempo war ok, die leichten Hügel sind nicht mehr als auf der Trainingsstrecke, keine Ernährungsfehler deutlich. Naja, alles auch noch etwas zeitig im Lauf. Die Tatsache, dass noch nicht mal die Hälfte geschafft ist, schockiert mich. Klar, zwei Stops machen die Motivation zunichte, egal wie positiv man denkt.
Ich brauche einen Plan: erstens den Krampf irgendwie loswerden. Ich denke an einige Triathlons, wo ich mit verkrampften Füßen vom Rad gestiegen sind und sich diese im Laufen lösten. Mit gelockerten Schuhen (waren die vielleicht zu fest?) und Optimismus geht es weiter, und bei Kilometer 25 scheint der Fuß wieder lockerer zu sein (leicht verkrampft ist er noch bis zum Abend). Ich sehe noch mehr von Krämpfen geplagte Läufer, zwei werden sogar eingesammelt. Vielleicht ist es heute auch zu kalt.
Dennoch geht es Schritt für Schritt weiter. Ich versuche so viel wie möglich die Landschaft zu genießen, zum schneller laufen ist die Luft raus. Es geht nett am Flüsschen vorbei, weiter durch kleine Ortschaften. Plötzlich geht es links und rechts und ich befinde mich auf einem Bauernhof, im Kuhstall spielt eine Band, auf dem Verpflegungsstand wieder mal Cognac. Ich bleibe bei Wasser und Gel.
Zurück auf der Straße ist vor mir ein von Krämpfen geplagter Läufer, wir haben uns schon ein paarmal gegenseitig überholt. Ich nehme ihn an die Hand, er nimmt dankbar an. Er kommt aus Straßburg, so dass wir deutsch reden. So laufen wir gemeinsam bis uns der Weg durch eine Holztür in den Innenhof eines Klosters (Abbaye Saint Étienne Bassac) bringt. Hier hallt der Gesang von drei a capella-Musikern in den alten Gemäuern, wirklich erhaben.
Weiter geht es bald darauf einen Parkweg durch einen Wald, der Weg geht in eine Wiese über - die eigentlich nur noch Matsch und Pampe ist. Mehr balancierend als laufend erreiche ich den Hof eines Schlösschens (Château de Triac), leider bleibt der Straßburger Kompagnon zurück. Gestärkt durch einen Blick auf die Versorgungsstation (neben Cognac gibt es hier eine breite Palette kulinarischer Genüsse wie Schmalzstullen oder Austern) suche ich mir einen neuen Laufpartner. Der ist allerdings mehr mit sich selbst beschäftigt, so trabe ich gerade allein bei Kilometer 37, als mich ein Pärchen überholt und etwas Aufmunterndes sagt. Ich sage, dass ich mich gern die beiden anschließe: eine hervorragende Idee!
Während Xavier auch etwas zu kämpfen hat, hat Laure noch genug Kraft uns beide zu ziehen und ist vor allem sehr geduldig mit meinem Französisch. Wir quatschen über alles Mögliche: Kanutouren in der Region, wie man den Weinstock anpflanzt, der Fall der Mauer (ist ja der 9. November)... Dabei ist das letzte Stück nicht ohne: bis Kilometer 40 geht es auf einem Feldweg, der auf Grund der vielen Regenfälle auch extrem matschig ist. Dort ist die letzte Versorgungstation vor dem Ziel: Xavier bleibt stehen, ich trabe langsam weiter. Es gibt noch mal einen fiesen Anstieg zurück in die Stadt. Wir drei finden uns wieder, Xavier zufrieden, da er drei Austern gegessen hat. Mir wird schon beim Gedanken daran übel.
Gemeinsam biegen wir auf die Zielgerade ein, was für ein irrer Moment. Der Zielbogen liegt einem quasi zu Füßen, weil es nur noch steil bergab geht! Hand in Hand genießen wir den Zieleinlauf. Medaille um den Hals und schnell ein Foto gemacht - dass Lächeln, was mich heute zwischendurch verlassen hat, ist wieder da. Das 4 Stunden und 5 Minuten und 500 Meter weniger auf der Uhr stehen, ist völlig egal. Ich bin viel glücklicher als im letzten Jahr, wo ich eine tolle persönliche Bestzeit erreicht habe. Im Zielbereich sehe ich die zwei Frauen und die Dreiergruppe vom ersten Laufdrittel, sie konnten das Tempo heute auch nicht durchhalten. Aber auch sie scheinen nicht bedrückt, sicher trägt die immer noch scheinende Sonne dazu bei.
Nach kurzer Versorgung schleppe ich mich zurück zum Auto. Lustiger weise werde ich ein zweites Mal von Xavier und Laure eingesammelt, und bedanke mich nochmals. Ich fahre in die Nähe des Ziels, bekomme da sogar einen Parkplatz und genieße eine heiße Dusche auf dem Campingplatz. Auf dem Weg zurück in den Zielbereich spreche ich noch mit einem Läufer, der es unglaublich findet, dass wir nur wegen dem Marathon angereist sind. Ein Blick in die Ergebnisliste zeigt, dass wir tatsächlich die einzigen Deutschen waren, daneben noch drei Dänen, ein Italiener und ein Spanier.
Gerade am Ziel angekommen, läuft mein Mann den Berg hinunter. Er ist extrem begeistert von dem Lauf: er war mit ein paar "trinkenden Läufern" (als Vereinsname "courons-buvons") unterwegs. Auch wenn er selbst nicht gekostet hat, hatte er einen riesigen Spaß mit den anderen über Cognac zu fachsimpeln und sich an der großartigen Natur zu erfreuen. Es wird wohl nicht der letzte Marathon dieser Art gewesen sein, Anregungen haben wir bei der Einschreibung ja genug bekommen.