Ironman Hamburg 27.7.2019

von Florian Bläsche

"...you are an Ironman!" Das waren sie, die magischen Worte, die am Ende meiner ersten Langdistanz als Belohnung auf mich warteten. Durch die Linse eines Teilnehmers, der bisher an keiner Langdistanz teilgenommen hat und auch noch kein Event mit diesem Ausmaß erlebt hat, muss dieser Bericht auch verstanden werden. Sicherlich gab es Dinge während des Ironman Hamburg, die man als Veteran der Langstrecke eventuell als verbesserungswürdig bezeichnen kann. Für mich gab es im Rückblick aber sehr viele Highlights. Zwar kann ich nicht behaupten, dass ich jeden Moment des Triathlon genossen habe, aber das Gefühl, am Ende der knapp elfeinhalb Stunden über die Ziellinie zu rennen, macht jegliche vorherige Qual wieder wett!

Aber zurück zum Anfang: Wir sind am Freitag in Hamburg angekommen, da wir noch etwas Zeit in der Stadt verbringen und ich auch das Athletenbriefing mitnehmen wollte. Wirklich neue Informationen gab es hier nicht, aber die wichtigste Nachricht des Tages und gefühlt 10-mal erwähnt war der Fakt, dass das Schwimmen stattfinden wird. Im Vorjahr musste das Schwimmen wegen Blaualgenbefall ausfallen und auch dieses Jahr sind in den Tagen vorher Schreckensmeldungen durch die Triathlonmedien gegangen, dass die Blaualge gerade am vermehren ist. Glücklicherweise war das nicht der Fall, so dass das Schwimmen wie geplant stattfinden und es sich um einen vollen Triathlon handeln würde.

Am Samstag ging es zum Bike check-in und zur Beutelabgabe. Das Beutelsystem war für mich komplett neu (bei allen Triathlons, bei denen ich bisher teilgenommen habe, wurden die Sachen einfach am Fahrrad deponiert). Ich habe jeden Beutel mindestens fünf mal überprüft, um sicher zu gehen, dass auch alles eingepackt ist. Nachdem ich mein Fahrrad an der Nummer 1265 abgestellt hatte und die Beutel an ihren Haken hingen, bin ich die Wechselzone nochmal von vorne bis hinten abgelaufen, um ein Gefühl für die Strecke zu bekommen. Die gesamte Wechselzone ist massiv. Aufgeteilt in vier Reihen – jeweils zwei pro Straße – ist es schwer, das Ende zu sehen. Ironman Hamburg behauptet, es sei die längste Wechselzone der Welt und mit 500m Laufdistanz vom Eingang zum Radaufstieg ist es sicher ein starker Mitbewerber um diesen Titel.

Nachdem ich das Gefühl hatte, es gibt hier nichts mehr was ich erledigen kann, ging es mit erhaltenem Racechip zum Hotel und später in eine kurze unruhige Nacht.

Renntag!

Sonntag war es dann also endlich so weit: Der Tag, auf den ich rund 10 Monate gewartet hatte, war da. Ich war aufgeregt, aber fühlte mich gut und war bereit für den Start. Gegen 5:30 Uhr war ich zum letzten Check und zum finalen Aufpumpen der Reifen in der Wechselzone und kurz darauf kam dann auch die Information, dass es kein Neoverbot geben wird. Die Wassertemperatur betrug 24,1 °C und damit knapp unter dem erlaubten Limit. Ich schwimme gerne auch ohne Neo und mir hätte ein Verbot nichts ausgemacht, aber die Erleichterung der meisten Athleten um mich herum war spürbar. Einige Fäuste wurden freudig geballt und hier und da high-fives verteilt. Dann konnte es ja losgehen!

Der Schwimmstart war ein rolling Start, was bedeutet, dass alle paar Sekunden 4 Teilnehmer in die Alster geschickt werden. Vorher wurden alle Schwimmer gebeten, sich entsprechend ihrer erwarteten Schwimmzeit in Zonen einzuteilen. Ich habe mich zu den 1:05 h bis 1:15 h-Schwimmern gestellt. 6:30 Uhr gingen die Profis auf die Strecke und gegen 6:40 fing der rolling Start für alle anderen Athleten an. Ich denke, ich habe nochmal etwa 10 Minuten warten müssen und dann ging es endlich los. Alles was vorher an Nervosität da war, war jetzt egal. Es ging ins Wasser und damit auf den längsten Tag meines sportlichen Lebens.

Das Schwimmen verlief relativ ereignislos. Die Alster ist definitiv kein klares Wasser, und ich konnte nichteinmal meine ausgestreckte Hand vor mir sehen. Wie ich leider auch vorher befürchtet hatte, ist den ersten 500 Metern meine Brille stark beschlagen, da man durch den rolling start unmittelbar vor dem Beginn keinen Zugang zum Wasser mehr hatte. Also kurz etwas zur Seite geschwommen und gereinigt. Sie hat daraufhin bis zum Ende klare Sicht geboten. Auf dem ersten Kilometer habe ich einige Schwimmer überholt, die sich definitiv nicht in die richtige Zone eingeordnet hatten. Das ist zwar schade, aber nach den ersten zwei Kilometern war ich hauptsächlich von Schwimmern des gleichen Tempos umgeben. Das hilft, sich zu orientieren, und macht es einfacher, die Geschwindigkeit zu halten.

Am Ende der Schwimmsektion dann direkt das erste große Highlight: Der Schwimmausstieg ist kurz hinter einer kleinen Brücke und führt in den vorderen Teil der Binnenalster. Dieser Flussabschnitt war umrandet von hunderten Zuschauern, welche über die Ränder ins Wasser gejubelt haben. Einfach Wahnsinn! Aber hier hat es noch nicht geendet, weil kurz nach dem Wasserausstieg nochmal so viele Zuschauer die Schleuse zur Wechselzone gesäumt haben. Wenn das nicht motiviert!

Der Wechsel aus dem Neo hin zum Rad verlief gut, auch wenn das Laufen mit Radschuhen über 500 m sicher nicht angenehm ist. Aber ich traue mich bisher nicht an den Radwechsel mit befestigten Schuhen. Meine erste Langdistanz war dann auch nicht der Ort wo ich es ungeübt testen wollte. Auf die paar Sekunden Einsparung kommt es bei mir definitiv nicht an.

Das Radfahren begann sehr gut. Ich fühlte mich ordentlich nach dem Schwimmen und war gespannt auf das, was mich hier erwartet. Ich habe zwar für meine Verhältnisse relativ oft auf dem Rad trainiert, aber zumeist nur kurze Strecken unter 100 km. Das längste, was ich zu diesem Zeitpunkt jemals auf dem Rad gefahren bin, waren rund 130 km und das ohne viel Druck. Ich hatte absolut kein Gefühl, was mich auf 180 km erwartet.

Auf der ersten Runde habe ich versucht, die Strecke so gut es ging zu genießen. Meine Geschwindigkeit war für mich sehr schnell und definitiv zügiger als ich mir vorher überlegt hatte. Meine Planung hat "entspannte" 28 km/h als Durchschnitt vorgesehen. Am Ende standen dann knapp 31.5 km/h auf der Garmin, so viel zur Rennplanung. Das Ganze sollte sich später aber dann auch noch rächen. Aber zurück zur Strecke – nach rund 2 Kilometern gab es einen kurzen etwa 100 m langen Abschnitt Kopfsteinpflaster. Im Athletenbriefing wurde eindeutig darauf hingewiesen, aber die Anzahl an Wasserflaschen und leider auch Materialboxen die auf dieser kurzen Strecke lagen war erschreckend. Direkt am Anfang wichtige Ernährung zu verlieren, ist sicher in keinem Plan gewesen. Auf meinem Rennrad mit den Flaschen in traditioneller Position war das Kopfsteinpflaster kein Problem und so ging es auf die lange Strecke ohne Verluste.

Die Radstrecke hatte meiner Meinung nach zwei große Höhepunkte. Zum Einen war das die Köhlbrandbrücke. Nicht ohne Grund ist sie auf der diesjährigen Medaille abgebildet, aber in mir hat sich richtige Begeisterung breit gemacht, als ich irgendwann um eine Kurve fuhr und sich plötzlich vor mir in der Ferne die Steigung zur Brücke auftut. Der Anblick war unglaublich. Die Fahrt nach oben dauert auch nicht sehr lange und man hat einen hervorragenden Blick über Hamburg – wenn man sich denn die Zeit nimmt, sich mal umzugucken. Die Belohnung für den Anstieg ist dann auch nicht nur die Aussicht, sondern auch die Abfahrt. Mit Höchstgeschwindigkeit geht es runter, was einfach nur Spaß macht.

Der zweite Höhepunkt war die Strecke entlang des Deiches. Etwa 20 km bis zum Wendepunkt am Deich auf ebener Strecke fahren und dann wieder die gleichen 20 km zurück. Das Wetter war hervorragend, und viele Anwohner hatten sich Tische und Stühle vors Haus gestellt und feuerten uns Vorbeifahrende an. Hier auf der ersten Runde sah ich dann auch die Schwierigkeit, welche die Getränkeaufnahme vom Rad mit sich bringen kann. Mir auf der gegenüberliegenden Seite kam eine junge Dame in die Station eingefahren und hat ungelogen 6 Helfern die Flaschen nacheinander aus der Hand geschlagen ohne auch nur eine greifen zu können. Die Helfer hatten Gesichtsausdrücke zwischen Schock und Belustigung und mir hat es eindeutig mitgeteilt, dass man in der Verpflegungszone durchaus etwas langsamer fahren sollte.

Die erste Runde lief alles in allem sehr gut, und ich war sehr froh, als die 90 km und damit die halbe Strecke hinter mir waren. Jetzt begann es langsam schwer zu werden. Die zweite Runde hatte jetzt keine unbekannten Abschnitte mehr zu bieten, und ich näherte mich auch langsam dem Bereich, bis zu dem ich in der Regel trainiert hatte. Meine Oberschenkel haben sich mehr und mehr bemerkbar gemacht und auch mein Rücken fing an weh zu tun. Um dem ganzen noch den Deckel aufzusetzen, gab es plötzlich gefühlt überall Gegenwind. Besonders am Deich auf dem Hinweg zum Wendepunkt blies auf einmal ein sehr starker Wind (nicht nur gefühlt in diesem Fall). Es war eine echte Tortur und die Strecke erschien endlos. Hier fing ich dann langsam auch an, daran zu Zweifeln, ob das ganze Unterfangen Ironman denn eine gute Idee war.

Man hat auf dem Rad ja eine Menge freie Zeit zum nachdenken, und ich habe mich nicht nur hier gefragt, wieso ich das hier denn mache… Ich hatte keine Ahnung, wie ich nach dem Radsplit noch einen Marathon rennen soll. Irgendwie habe ich den Deich dann hinter mich gebracht und damit sich meine Beine etwas erholen, habe ich nach dem 170 km Schild ein paar Gänge rausgenommen. Die letzten 10 km fühlten sich dadurch extrem lang an. Vermutlich lag es aber auch daran, dass es tatsächlich 15 km waren. Die Strecke war 185 km lang, was mir bis nach dem Rennen nicht bewusst war. Ich bin auch ganz froh, dass ich es nicht wusste. Auf dem Großteil der Radstrecke waren keine Massen an Menschen am Straßenrand, so war es besonders schön, am Ende der Radstrecke von den vielen Zuschauern empfangen zu werden. Das hat mich dann nochmal beflügelt und so ging ich trotz brennender Beine mit Elan in die Wechselzone.

Die ersten Schritte gingen dann doch recht gut, und ich konnte durch die Wechselzone rennen, bis ich dann kurz vorm Wechselzelt meine Familie gesehen hab, was die wohl größte Motivation ist, die jemand bekommen kann. Durch ihre anfeuernden Rufe ging es dann überraschend gut gelaunt auf die Rennstrecke.

Meine Beine fühlten sich fantastisch an. Die ersten paar hundert Meter hatte ich das Gefühl als wäre ich frisch losgelaufen ohne vorher 180 km auf dem Rad gesessen zu haben. Ich weiß aber auch, dass eine Triathlonweisheit besagt, dass wenn sich das Rennen nach dem Rad sehr gut anfühlt, rennt man vermutlich zu schnell. Als dann nach dem ersten Kilometer eine Zeit unter 5 min auf der Uhr stand, wusste ich, dass ich jetzt definitiv langsamer machen muss. Leider ist es extrem schwierig einzuschätzen. Ich dachte, ich laufe viel langsamer als gewöhnlich, war aber für die ersten Kilometer definitiv zu schnell. Und auch wenn sich meine Beine relativ gut anfühlten, mein Kopf hatte schon nach den ersten 5 km genug. Ich konnte mir nicht vorstellen, jetzt noch über 4 Stunden zu rennen.

An dieser Stelle muss ich noch die Stimmung in Hamburg entlang der Rennstrecke loben. Gefühlt 9 der 10 km-Runde waren fast durchgängig von Zuschauern besetzt. Ob es jetzt Triathlonbegeisterte waren oder nicht, man wurde überall angefeuert. Einige Fanclubs hatten sich am Rand der Strecke aufgestellt und haben super Stimmung gemacht. Ein Anfeuern dieser Art alleine ist es Wert, ein solches Event in der Mitte einer Stadt zu veranstalten. Die Zurufe haben mich das eine oder andere Mal "gerettet".

Aber auch mit den tollen Zuschauern wurden meine Beine über die Strecke hinweg dann doch immer und immer schwerer. Am Ende der ersten 10 km hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich den Rest der Strecke gehen muss. Meine Beine wollten einfach nicht mehr. Bis Kilometer 15 hab ich mich noch gezwungen, aber dann musste ich das erste Mal ein paar Minuten gehen. Die nächste Verpflegungsstation war aber nah und so habe ich mich dann neu motiviert. Nach der Station konnte ich wieder etwas weiter laufen und so ging es dann fast den gesamten Rest des Marathons. Alle paar Kilometer musste ich etwas gehen. Meist bin ich dann bis zur Verpflegungsstation gerannt, habe alles mitgenommen, was ich nützlich fand und bin danach erstmal weitergelaufen, bis es nicht mehr ging.

Auf der dritten Runde habe ich das erste Mal eine Uhr am Straßenrand bemerkt und gesehen, dass es ziemlich genau 17 Uhr war. Das bedeutete nicht nur, dass ich jetzt schon über 10 Stunden unterwegs bin, sondern auch, dass ich effektiv noch mehr als 90 Minuten Zeit habe, um die letzten 10 Kilometer hinter mich zu bringen und trotzdem noch unter meinem gesteckten Ziel von 12 Stunden bleiben kann. Irgendwie hat das noch einmal gut motiviert und so konnte ich die letzte Runde mit sehr langsamen rennen – gemischt mit langsamen gehen durch die Verpflegungsstationen – in gut einer Stunde hinter mich bringen.

Etwa 1 km vor dem Ziel gibt es einen Punkt, an dem man ein neues Bändchen für jede Runde bekommt. Als ich hier das vierte und letzte Bändchen über den Arm gestreift bekam, wurde mir so langsam bewusst, dass ich es gleich geschafft habe. Die meiste Müdigkeit war auf einmal fast weg, die Beine nicht mehr so schwer und ich machte mich auf den Weg durch den Teil der Strecke entlang der Alster, wo vor über 11 Stunden der Schwimmstart war und das Abenteuer begonnen hat. Überall liest man, dass man den Zieleinlauf seines ersten Ironman genießen soll und genau das habe ich auch gemacht. Kurz vor dem Ziel standen dann meine Frau und Kinder am Rand und feuerten mich lautstark an. Ohne ihre Unterstützung (bzw. Verständnis) wäre das Ganze für mich nicht möglich gewesen und so lief ich unter ihrem Jubeln geradeaus auf die Ziellinie anstatt links um die Kurve wie die letzten drei Mal als ich hier vorbei kam.

Im Ziel Einlaufen ist ein einmaliges Erlebnis. Der Ansager schreit seinen berühmten Satz und die Zuschauer auf den Tribünen schreien jeden Einzelnen über die Ziellinie. Es ist ein magischer Moment und als ich über die Ziellinie gelaufen bin und die Medaille um meinen Hals gehangen wurde, hatte ich im Prinzip schon die ganzen Schmerzen der letzten 11 Stunden und 34 Minuten vergessen. Jetzt gab es nur noch Freude und das unglaubliche Gefühl, einen Ironman geschafft zu haben.

 


© TriGe Sisu Berlin; 1.8.2019