Ironman Kalmar 17.8.2019

von Denise Kottwitz

2018: der Ironman und somit der Triathlon werden 40 Jahre alt. Ich auch. Ich erhalte ein besonderes Geburtstagsgeschenk von meinem Mann: Startplatz Ironman Kalmar 2019. Wahrscheinlich hätte ich noch länger gezögert eine Langdistanz anzugehen, obwohl die Voraussetzungen perfekt waren: ein ungestillter Trainingshunger und immer größere Begeisterung für lange Strecken. Sich so einen Startplatz schenken zu lassen ist übrigens eine gute Idee: die Unterstützung ist von vornherein zugesichert und im Rennen ist es ein zusätzlicher Motivationsschub sich für das Geschenk dankbar zu zeigen.

Warum der Ironman Kalmar? Meine Triathlonwurzeln liegen in Schweden, ich habe bei "Triathlon Syd" (Verein in Lund und Malmö) mein Leben als Triathlet gestartet. So habe ich die entspannte skandinavische Art bei Wettkämpfen in guter Erinnerung. Außerdem gefiel mir der Termin im August, so dass mir ein langer Winter keinen Strich durch die Trainingsplanung machen konnte. Weiterhin ist die Radstrecke vergleichbar zu meinen Trainingsbedingungen in der Niederlausitz = flach und windig und ein Hitzemarathon kann fast ausgeschlossen werden (bei den heutigen Klimakapriolen weiß man aber nie).

Anreise und Wettkampfvorbereitung

Der Wettkampf fällt auf einen Samstag, wir reisen am Mittwoch an. Kalmar ist ein beschauliches Städtchen mit 35.000 Einwohnern. Bei unserer Ankunft ist die Hölle los. Wir suchen lange einen Parkplatz, bei der Registrierung Leute über Leute. Grund: am Abend findet der Kalmar Mini Tri, eine Sprintdistanz statt. Also schnell die Unterlagen geholt und weg vom Trubel zu unserem gemieteten Häuschen. Den Donnerstag verbringen wir entspannt auf der vor Kalmar liegenden Insel Öland und Abend treffe ich Max zur Wettkampfbesprechung. Er ist genauso entspannt wie ich, meint "am Ende ist es ja auch nur ein Triathlon".

Die Besprechung ist nervig: erst muss man draußen warten, dann geht es 40 Minuten zu spät los, weil es so lange dauert alle Teilnehmer in die Halle zu bekommen. Die Informationen sind teilweise total widersprüchlich zum veröffentlichen Wettkampfguide, was leider auch wichtige Angaben z.B. zu Zeitstrafen betrifft. Überhaupt, bin ich was die Informationslage betrifft, enttäuscht: die veröffentlichen Karten stimmen teilweise nicht, sind unvollständig und viel zu klein. Ich nehme die Widersprüche einfach mal hin in der Hoffnung, dass sie im Wettkampf keine Rolle spielen.

Das Einchecken am Freitag geht dagegen total unkompliziert und wir laufen noch Teile der Strecke in der Innenstadt ab, um eventuelle Treffpunkte mit meinem Mann auszumachen. Außerdem will ich noch ein paar Beweisfotos mit Michas Sisu Fahne machen, aber der Wind ist so heftig, dass diese schwer zu halten ist. Eine kleine Vorahnung für den nächsten Tag...

Wettkampftag

Der Wettkampftag beginnt vielversprechend: Sonne, relativ windstill. Temperaturen von 16 bis 20 Grad sind vorhergesagt, zum Nachmittag hin soll es sich zuziehen, der Wind stärker werden, eventuell etwas regnen.

Das zeitige Aufstehen ist kein Problem und wir erhaschen einen der letzten Parkplätze nahe der Wechselzone. Dort halte ich mich gar nicht lange auf: das Rad schnell mit Flaschen und Nahrung bestückt und kurz nach den Beuteln geschaut. Dann geht es für mich schon Richtung Wasser, denn ich will mich unbedingt vorher einschwimmen. Am direkten Start ist dies nämlich nicht möglich, sondern nur an einem etwa 500 Meter entfernten Strand. Aber mit genug Zeitpuffer klappt es alles gemütlich und ohne Absprache treffe ich dort mit Max zusammen, so dass wir gemeinsam zum Start gehen.

Schwimmen

Beim Einordnen zum Rolling Start gehen wir in die Mitte von 1h und 1:10h, Max dann noch etwas nach hinten. Es wird andächtig die schwedische Nationalhymne gesungen, dann verkündet ein Kanonenschlag den Start. Schritt für Schritt nähere ich mich der Rampe. Die Athleten werden hier am laufenden Band ins Wasser gelassen, also nichts mit zeitlichen Abständen von ein paar Sekunden. Der Schwimmstart ist entsprechende heftig. Ein wirkliches Gehaue und Geprügel. Dazu kommt ein heftiger Bass der Musik, der von der Kaimauer aufs Herz drückt. Kurz darauf knallt einem die Morgensonne ins Gesicht. Ich sehe nichts, selbst mit kurzem Brustzug und hoch erhobenen Kopf. Ich kann noch nicht mal erkennen, was die Schwimmrichtung der anderen ist – es scheint kreuz und quer zu gehen. Also einfach durchhalten, bis ich dann doch eine Boje erkennen kann. Nach ca. 600 Meter gibt es eine 90 Grad-Wende, dann ist die Orientierung einfach: immer auf die Ölandbrücke zu.

Der Wind kommt von hinten, die Wellen tragen einen förmlich. Igitt, was war das? Fühlte sich nach einer Qualle an. Kurz darauf ein ganzes Feld. Zum Glück bleibt es bei dieser kurzen Begegnung. Nach der nächsten Kurve finde ich einen Wasserschatten, den ich auf der Rückgeraden, entgegen dem Wind, gut nutzen kann. Leider verliere ich ihn irgendwann, und die Wellen machen die Orientierung etwas schwerer. Es geht zurück sehr nah an die Kaimauer ran, die oben mit Zuschauern gefüllt ist. Den tosenden Applaus von höre ich nicht, kann ihn aber bei den vielen Leuten erahnen. Hier am Ufer stinkt das Wasser. Es geht durch eine kleine Brücke, das Wasser wird merklich kühler aber unter mir ist alles voller Seetang. Ich versuche, so weit wie möglich vom Ufer entfernt zu schwimmen, aber auf den letzten Metern muss ich doch mehrmals stoppen, um mich von dem Gestrüpp zu befreien. Als ich beim Ausstieg 1:01 h auf der Uhr sehe, glaube ich es kaum. Nach den Vorkommnissen im Wasser hätte ich mit ein paar Minuten mehr gerechnet.

Radfahren

Dem Wechsel widme ich etwas mehr Zeit, da ich mich auf Grund der Temperatur für ein zusätzliches Shirt, Socken und Ärmlinge entscheide. Ich schnappe mein Rad mit einem: "so Schatzi, dann werden wir mal" und laufe los. Vor mir einer im Sisu Outfit. Max?! Der konnte sicher nur so schnell schwimmen, da ich den Weg von Quallen und Gestrüpp gereinigt habe.

Schon nach wenigen Metern geht es zum Highlight der Tour über die 6 Kilometer lange Ölandbrücke (das Foto anbei ist während einer Autofahrt an einem anderen Tag gemacht, da sonst Fußgänger und Radfahrer strengstens auf der Brücke verboten sind). Der Blick über das Wasser ist herrlich. Mit dem Wind geht es auf der Brücke ganz gut, so dass ich mich erst mal ordentlich versorgen kann. Auf Öland sind es dann 40 Kilometer geradeaus nach Süden. Das heißt 40 Kilometer Gegenwind. 40 Kilometer Geduld bewahren und nicht zu viel Kraft verschwenden. Ich halte mich an meinen Menüplan, den ich auf die Aeroflasche geklebt habe. Ansonsten genieße ich die Landschaft und freue mich der netten Abwechslung am Streckenrand. Immer wieder Leute, Musik, Applaus. Ein ganzes Dorf ist mit Luftballons geschmückt, es gibt Picknickrunden diverser schwedischer Sportvereine und nicht selten sieht man eine Oma auf einem Campingstuhl einen Löffel auf einen Kochtopf hauen.

Etwas verbittert bin ich über die Beobachtung, dass doch extrem Windschatten gefahren wird. Damit meine ich nicht das exakte Einhalten der Zeiten und Abstände sondern dass wirklich einige Pulks an mir vorbeiziehen. Es sind viele Motoräder mit Kampfrichtern unterwegs, die das gleiche sehen wie ich, aber eine Karte sehe ich niemals gezückt. Auch die Penalty Zelte später sind alle leer. Ich bleibe brav auf Abstand, aus Prinzip und weil ich einen Ironman mache, um zu sehen ob und wie ich die Strecke allein bewältige kann. So freue ich mich zunehmend auf die Wende und Rückenwind.

Da hatte ich nicht richtig überlegt: denn zuerst geht es noch mal zehn Kilometer nach Osten. Also heftigster Seitenwind. Ich kralle mich am Rad fest, um nicht wegzufliegen. Nach etwa 60 geschafften Kilometern heißt es dann endlich rollen lassen. Zuerst hole ich die verpasste Ernährung nach, merke aber dass ich mit dem Trinken zu zögerlich bin. Also entscheide ich mich bei Kilometer 90 für eine kurze Pinkelpause, die gleich nutze um Aeroflasche und Rahmentasche mit Nahrung wieder aufzufüllen. Es geht zurück Richtung Brücke. Zeit für eine Brotzeit. Genau richtig, denn nach zuckersüßen Riegeln und Iso ist so eine Scheibe Vollkornbrot ein echter Genuss.

Immer wieder Stimmung und Unterstützung vom Streckenrand. Allerdings überlege ich einmal, ob "Highway to hell" gerade der richtig gewählte Titel ist. Über die Brücke ist nun mehr Gegenwind, aber für mich wendet sich das Blatt: ich fange an mehr Radfahrer zu überholen anstatt eingeholt zu werden. Dabei liege ich deutlich über meinem anvisierten 30er Schnitt, aber es ist noch ein Stück zu fahren und noch mal mit Gegenwind zu rechnen.

Zurück in Kalmar geht es auf einen Kreisverkehr, deren Streckenführung zwar ausführlich in der Vorbesprechung erwähnt wurde, ich aber nicht verstanden habe. Das ergibt sich von allein. Überrascht bin ich vom Publikum an besagter Wendepunktstrecke. Da stehen Tausende! Ich habe noch nie in Schweden so viele Leute auf einmal gesehen. So gepusht geht es auf die letzten 60 Kilometer auf dem Festland. Statt der kargen Landschaft von Öland schöne Wälder. Zudem wird die Strecke ein kleiner Zickzack-Kurs, also sehr abwechslungsreich und der Wind wechselnd aus allen Richtungen. Überraschend schnell kommt die Verpflegungsstation bei Kilometer 150. Ich stelle zufrieden fest, den Ernährungsplan annähernd eingehalten zu haben. Noch zufriedener bin ich über meinen Gesamtzustand. Es geht mir hervorragend. Klar, etwas steif im Nacken, das Knie puckert etwas und sicherlich nicht mehr ganz frisch. Aber ich habe etwas ganz anderes erwartet. Selbst auf den letzten Kilometern kein Problem die Aeroposition zu halten. Ein hoch auf das Athletiktraining. So geht es auf der Überholspur bei starkem Gegenwind zurück in die Stadt. Total glücklich mit einer Zeit von etwa 5h50 steige ich vom Rad. Wechsel geht ruck zuck und ab auf die Laufstrecke.

Laufen

Zuerst geht es auf einem Zickzack Kurs in die Innenstadt. Hier winkt mir mein Mann entgegen, ich rufe ihm ein "Unfallfrei gefahren – nur für Dich" zu, denn er hat immer panische Angst, dass mich mal ein Radunfall ereilt. Die Laufstrecke sind 3,2 Runden, ich habe vorher strikt festgelegt wie ich mich ernähren will und im Gepäck ein großes Packet an mentalen Strategien. Ich gehe fest davon aus, dass es irgendwann sehr, sehr schwer werden wird.

Auf den ersten Laufmetern muss ich mich natürlich ordentlich bremsen. Gar nicht so einfach bei den jubelnden Massen am Streckenrand. Von hinten kommt auch noch Max vorbei, der mich versucht weiter anzutreiben. Es geht nach Norden leicht ansteigend aus der Stadt heraus. Abschnittsweise kommen einem die Läufer auf dem Rückweg entgegen. Als wirklich schön würde ich die Strecke nicht bezeichnen. Entweder läuft man mitten auf der Straße an Einfamilienhäusern vorbei oder auf asphaltierten Radwegen. Ab und zu kann man ein Blick auf die Ostsee erhaschen. Ruhe hat man keinen einzigen Meter. Überall ist Publikum und feuert einen ordentlich an. In Bergan ist der Gipfel der Runde erreicht, hier kann man quasi von einer Stimmungshochburg sprechen. Leute, Party-Musik und überall Schilder und Banner mit motivierenden Sprüchen. In Bergan ist auch ein kleiner Hügel zu bewältigen – sehr steil aber ganz kurz. Dann geht es zurück in die Stadt. Da hier immer noch starker Gegenwind herrscht, läuft es sich doch etwas mühsam. Die Strecke führt schließlich in ein Stadion auf eine Tartanbahn, wo man ein Bändchen für die absolvierte Runde bekommt.

Voller Genuss geht es wieder durch die Innenstadt. Man läuft direkt am Zielbogen vorbei, wo die Tribüne voll besetzt ist. Neben mir kommt ein Jonas ins Ziel, ich applaudiere – was vom Moderator gleich als sportliche Geste kommentiert wird. Die zweite Runde verläuft unspektakulär, allerdings werden gegen Ende die Beine schwer und das Tempo langsamer. Mich ärgert es überhaupt nicht, da es außer dem Zwicken in den Oberschenkeln keine Probleme gibt. Ich beschließe, die letzte Runde zu genießen statt noch irgendwie ein paar wenige Minuten und Sekunden zu erkämpfen. Mühsam wird es dennoch, da um mich rum sehr viele Leute gehen oder langsamer sind. Gerade im Gegenwind finde ich keinen Läufer mehr um mich zu verstecken. Trotzdem ist bald das dritte Bändchen am Arm. Jetzt sind es noch gute 2 Kilometer zu laufen. Schneller werde ich nicht mehr, aber die Oberschenkel merke ich auch nicht mehr. Es macht einfach Spaß. Vom Rand jubelt mir Max noch mal zu, dann ist noch eine Schleife zu laufen, und dann bin ich auf der Zielgeraden.

Gleich erreiche ich den roten Teppich, der mich über so viele Trainingskilometer im Kopf begleitet hat. Bis dahin hunderte Leute am Rand. Ich schenke ihnen ein Lächeln, weil sie den ganzen Tag für uns Athleten da waren und weil ich es noch kann. Beim Zieleinlauf ist kein Gefühl von "endlich geschafft" sondern nur Freude über das gelungene Langdistanzdebut. Mit der erreichten Zeit habe ich nicht ernsthaft gerechnet. Wenn das Training mal besonders gut lief, vielleicht davon geträumt. Was ich aber niemals erwartet hätte, dass es möglich ist, ein so langes Rennen so problemlos zu meistern und dass ich das Rennen jeden Meter genießen kann.

3,8 - 180 - 42 km;  415 Frauen und 1754 Männer im Ziel

Pl  Name               AK  Pl      swim   T1     bike      T2     run       gesamt
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 1  Jessica Fridlund  W30  1	  55:54   2:18   5:15:32   1:59   3:29:03   9:44:45
50  Denise Kottwitz   W40  9	1:01:59   5:07   5:51:59   2:28   4:06:26  11:07:58
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 1  Boris Stein       PRO  1	  49:07   1:32   4:03:08   1:51   2:53:37   7:49:14
72  Maximilian Müller M18  2	1:01:55   4:23   4:56:39   2:51   3:14:44   9:20:33	

 


© TriGe Sisu Berlin; 29.8.2019