Ironman Kalmar 17.8.2019

von Maximilian Müller

"Bist du dir sicher, dass du das machen willst?" und "Da sind doch nur Bekloppte" waren die Reaktionen des schwedischen Teils meiner Familie, als ich Ihnen erzählte, dass ich mich für den Ironman Kalmar angemeldet hatte. Schweden ist meine zweite Heimat, eine Tante von mir lebt dort seit fast 15 Jahren in der Nähe von Kalmar, und inzwischen haben wir sogar ein eigenes Ferienhaus nebenan. Die letzten Jahre habe ich meinen Sommer- und Winterurlaub dort verbracht. Als ich 2017 zum Zuschauen beim Ironman war, wusste ich, dass ich hier eines Tages selbst starten möchte. Doch leider hatte ich weder das Geld für ein wettkampftaugliches Rad, noch konnte ich 3,8 Kilometer am Stück schwimmen. So beschloss ich, zunächst dem Laufsport treu zu bleiben und im nächsten Jahr einen Annäherungsversuch an den Triathlon zu wagen. Nach meinem Wiedereinstieg auf der Sprintdistanz im Sommer 2018 wusste ich, dass es zwar ein harter Weg zur Langdistanz wird, es aber mit einem Jahr Vorbereitung zu schaffen sein würde, in Kalmar an den Start zu gehen.

Nachdem die Vorbereitungswettkämpfe in dieser Saison und das Training nach Plan liefen, reiste ich mit einem guten Gefühl nach Schweden und wusste, dass ich es in die Top 5-10 meiner Altersklasse schaffen kann, wenn ich mein Potenzial abrufe. Während des Ironman ist die Stadt im Ausnahmezustand. Alles dreht sich um Triathlon, und die Zeitungen sind voll mit Geschichten über die Profis und vor allem Athleten aus der Region. Auch in meiner Altersklasse gab der Lokalmatador aus Kalmar in der größten Lokalzeitung bekannt, dass er dieses Jahr gewinnen und nach Hawaii fahren möchte. Im letzten Jahr war er mit einer Zeit von 9:59 auf dem dritten Platz gelandet.

Da dies meine erste Langdistanz und mein erstes Rennen bei einem großen Veranstalter war, überraschten mich die gute Organisation und die durchdachten Abläufe. Mit über 3000 Anmeldungen war es der größte Ironman Sweden aller Zeiten, und trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, dass der Wettkampf überfüllt war. Bei der Wettkampfbesprechung traf ich dann auch Denise, die ebenfalls ihre erste Langdistanz absolvieren wollte. Die Wettkampfbesprechung war kurzweilig und aus meiner Sicht wurden alle offenen Fragen zur Strecke und dem Ablauf des Rennens beantwortet. Der Bike Check-in lief ebenfalls problemlos, daher konnte ich mich entspannt und gut ausgeruht am Samstagmorgen bei angenehmen 16 Grad und 19 Grad Wassertemperatur in den Startblock einreihen.

Ich sortierte mich nach Olafs Empfehlung in den Bereich kurz vor der 1:10 ein und warte auf den Kanonenschlag, der in Kalmar das Schwimmen eröffnet. Die Strecke führt durch das Hafenbecken der Stadt, entlang an der Altstadt-Insel Kvarnholmen, und endet in einem kleinen Kanal. Da dies mein erstes Rennen mit Rolling-Start war, erwartete ich ein faires Schwimmen und vor allem einen ruhigeren Start. Diese Hoffnung wurde allerdings früh enttäuscht, und aus meiner Sicht war dies das härteste Schwimmen, das ich bisher erlebt habe. Es wurde gehalten, getreten, geschlagen und untergetaucht. An der zweiten oder dritten Boje hielt mich jemand an der Schulter und zog mich förmlich nach hinten. Trotzdem hatte ich unterwegs den Eindruck, dass es ein schnelles Schwimmen war, da man die Strömung im Wasser spüren konnte. Als ich an der 3000 Meter-Boje einen Blick auf die Uhr wagte, bekam ich einen Schreck. Die Uhr zeigte 53 Minuten, und ich hatte die Befürchtung, dass ich mich unterwegs verschwommen haben könnte. Letztlich stieg ich mit einer Zeit von 1:01,55 aus der Ostsee. Ein Ergebnis, mit dem ich nicht ansatzweise gerechnet hätte.

Weiter ging es auf die Radstrecke, die nach der Wechselzone unmittelbar auf die Ölandbrücke führt. Die Brücke ist sicher ein absolutes Highlight, aber da ich sie schon etliche Male mit dem Auto abgefahren bin, nutzte ich die Gelegenheit um mich zu verpflegen. Auf Öland angekommen fuhren wir zunächst nach Süden, wo ein langer Abschnitt mit Gegenwind bevorstand. Leider wurde auf den ersten 30 Kilometern nicht immer fair gefahren, da die Radstrecke logischerweise ziemlich voll wurde und die guten Radfahrer auf die schnellen Schwimmer trafen, weshalb sich zeitweise Grüppchen bildeten.

Nach der ersten technisch anspruchsvollen Passage vor der zweiten Verpflegungsstelle löste sich das Feld ein wenig, so dass die Grüppchen langsam gesprengt wurden. Vor dem ersten Wendepunkt der Strecke nach ca. 60 Kilometern erwartete uns ein kurzer Anstieg, der kaum der Rede wert war, aber das Feld zum Glück abermals deutlich entzerrte. Nach einem kurzen Stück mit heftigem Seitenwind knickte die Strecke erneut ab und es folgte der lange Rückweg Richtung Brücke, der komplett mit Rückenwind befahren werden konnte. Meinen Zeitplan hatte ich dort schon längst über Bord geworfen, da ich aufgrund der Windverhältnisse wusste, dass ich hier Gas geben kann. Der Straßenbelag war perfekt, und weil die Strecke schnurgerade von Nord nach Süd führte, konnte ich dieses Stück mit einem sehr hohen Tempo fahren, ohne neue Kräfte mobilisieren zu müssen.

Wieder auf dem Festland fuhren wir dann zunächst weiter Richtung Norden und kamen in ein Gebiet, das ein sehr welliges Profil aufweist, wobei der Begriff "Rolling Hills" hier treffend ist. Mit der richtigen Fahrtechnik lässt sich dort sogar Schwung aufnehmen. Auf dem Rückweg nach Kalmar standen nun die letzten 20 Kilometer mit Gegenwind bevor. Wieder bildeten sich im Feld kleinere Gruppen von Agegroupern, die sich heftige Duelle lieferten. Das Windschattenverbot wurde teilweise komplett ignoriert. Zwischenzeitlich ging es zu wie in einer Fluchtgruppe, die sich auf den Zielsprint vorbereitet. Hier hätte ich mir mehr Durchsetzungsvermögen bei den Marshalls gewünscht, die dieses Verhalten offenbar tolerierten. Auf 180 Kilometern habe ich genau einen einzigen Teilnehmer im Penalty Tent gesehen. Für mich endete die schnelle aber sehr windanfällige Radrunde nach 4:56.

Als ich vom Rad stieg wusste ich, dass ich bereits deutlich vor meiner eigenen Rennplanung lag und meine angestrebte Zielzeit deutlich übertreffen würde. Auch die Beine fühlten sich noch gut an und so spürte ich, dass heute eine gute Laufzeit um die 3:15 möglich sein würde. Direkt nach der Wechselzone wartete meine Tante und rief mir die Platzierung zu. Als ich hörte, dass ich auf Platz 5 mit 10 Minuten Rückstand auf den Ersten lag wusste ich, dass ich heute um den Sieg mitlaufen kann. Dafür musste ich allerdings schnell die Lücke schließen, an den Führenden herankommen und ihn nach alter Crosslauf-Schule mürbe machen. So nahm ich die Beine in die Hand und vertraute komplett auf meine Laufstärke. Der Plan schien zunächst aufzugehen, denn nach der ersten Runde lag ich auf dem zweiten Platz und hatte nur noch 5 Minuten Rückstand. Der Führende war in greifbarer Nähe, aber die Aufholjagd hatte viel Kraft gekostet und inzwischen wusste er, dass ich ihm auf den Fersen bin.

Nach der Zweiten Runde betrug sein Vorsprung noch immer über 4 Minuten, und ich wusste, dass es jetzt richtig schwer würde. Meine Beine waren fest und ich konnte das Tempo nur schwer hoch halten. Dennoch wollte ich mich nicht aufgeben, denn dem Führenden musste es ja nicht viel besser gehen und er hätte jederzeit platzen können. Ihn ziehen zu lassen hätte ich mir nicht verzeihen können, daher beschloss ich durch die Verpflegungspunkte zu gehen und die Abschnitte dazwischen so schnell anzulaufen wie es eben noch möglich war. Ich quälte mich so zum Stadion, in dem die Rundenbändchen verteilt wurden und passierte das Kilometer-40-Schild mit dem Gedanken, dass ich hier auch einfach stehen bleiben und gemütlich ins Ziel gehen könnte. Allerdings wollte ich, dass der Sieger seinen Zieldurchlauf so spät wie nur möglich genießen sollte und so gab ich weiter Gas, um ihm das Leben schwer zu machen. Als meine Tante bei Kilometer 41 einen Rückstand von 4 Minuten durchrief wusste ich, dass ich geschlagen bin. Mit dem Ziel vor Augen schöpft man noch einmal Kraft, sodass ich die allerletzte Verpflegungsstation links liegen ließ und so etwas wie einen Schlussspurt mobilisierte. Insgeheim hoffte ich noch immer, dass der Führende seinen Sieg etwas zu überschwänglich auf dem roten Teppich feiern würde und ich ihn auf dem Zielstrich noch überraschen könnte.

Ich hatte mir mehr als ein Jahr lang überlegt, wie es wohl sein würde ins Ziel zu kommen. Der rote Teppich war komplett leer, und ich hatte das Gefühl, die Menschen auf den Tribünen wären nur für mich gekommen. So nahm ich mir noch die Zeit den Reißverschluss zu schließen und die Mütze vom Kopf zu ziehen, denn auf dem Zielfoto möchte man ja gut aussehen. Nachdem ich durch den Zielbogen gelaufen war und die vier magischen Worte gehört hatte, kam der Sprecher zu mir und sagte: "Thank you for today Maximilian". Ich wusste zunächst nicht, was er mir damit sagen wollte, doch als ich sah, wie der Sieger meiner Altersklasse ein Fernsehinterview gab wurde mir klar was gemeint war. Es war tatsächlich Gustav Hansson, der am Tag vor dem Rennen seinen Sieg bereits in der Zeitung angekündigt hatte. Mit leerem Blick schaute ich auf die Tribüne und wusste nicht, ob ich mich freuen oder traurig sein sollte. Im selben Moment realisierte ich, dass ich in 9:20 gefinisht hatte, eine Zeit mit der ich nicht im Ansatz gerechnet hatte. Selbst mein Marathonziel von 3:15 hatte ich mit einer Laufzeit von 3:14 knapp unterboten.

Als Gustav mit seinem Interview fertig war ging ich zu ihm und gratulierte ihm zu seinem Sieg. Zunächst wusste er nicht wer ich war, da ich ihn auf Schwedisch angesprochen hatte. Nach einem Blick auf meine Startnummer wurde ihm dann bewusst, dass ich sein Verfolger sein musste und so gratulierten wir uns gegenseitig zu diesem spannenden Rennen. Das Interview nahm am nächsten Tag fast eine komplette Zeitungseite ein und auch ich wurde namentlich erwähnt. Gustav sagte im Ziel: "da war irgendein Deutscher, der mich gejagt hat." So sollte es sich auch anfühlen und beim nächsten Mal weiß er wer ich bin. Gustav war an diesem Tag der schnellere Athlet und natürlich kann man sich fragen, ob und wo ich ihn eventuell hätte erwischen können. Für mich ist allerdings klar, dass es sich bei einem Rennen über 9 Stunden und einem Abstand von dreieinhalb Minuten um Kleinigkeiten handelt, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Daraus werde ich lernen und beim nächsten Ironman auch den Details meine volle Aufmerksamkeit widmen.

Meine Tante und ich warteten danach noch gespannt an der Strecke und feuerten Denise an, die auf ihrer letzten Laufrunde war. Auch sie lieferte ein unglaublich starkes Rennen ab und finishte mit Platz 9 der Altersklasse und einer Zeit von 11:07. An dieser Stelle noch einmal stort grattis Denise!

Am nächsten Tag stand die Siegerehrung an und als ich Gustav bei der Siegerehrung durch die Halle humpeln sah wusste ich, dass er genauso am Ende gewesen sein musste wie ich. Er hatte mir bereits gesagt, dass er den Hawaii-Slot annehmen würde und so konnte ich nur auf einen glücklichen Zufall beim Roll-Down hoffen. Leider hatte ich kein Glück und konnte keinen Hawaii-Slot mehr ergattern.

Ich schaffte es noch gerade rechtzeitig zur Messe, um mich für das Rennen im nächsten Jahr anzumelden. Für mich ist klar, dass ich nach diesem Ergebnis den Sieg in der Altersklasse erreichen möchte. Auch wenn ich angesichts der Voraussetzungen das perfekte Rennen gemacht habe, bin ich noch nicht zufrieden. Das mag bei einer Zeit von 9:20 albern klingen, aber wenn man so knapp am Sieg und der Kona-Quali vorbei schrammt, spornt das an, im nächsten Jahr noch besser zu sein. Es war mein Debüt auf der Langdistanz, und alle die mich regelmäßig beim Training gesehen haben wissen, wie hart ich dafür gearbeitet habe. Es ist meine Einstellung, niemals satt zu sein und sich mit jedem Ergebnis, ob Erfolg oder Misserfolg, weiterzuentwickeln. Ich werde nun ein weiteres Jahr und womöglich noch härter trainieren, um das bisher Unvorstellbare zu erreichen und nach Hawaii zu fahren.

Trotzdem möchte ich nicht vergessen, Danke zu sagen! Als ich Anfang des Jahres zu Sisu gekommen bin, war ich nicht ansatzweise auf dem Niveau, eine Langdistanz zu finishen. Ihr alle habt mir dabei geholfen, diese Leistung möglich zu machen. Einen besonderen Dank möchte ich an Dirk richten, der mir spontan seinen Einteiler ausgeliehen hat (ich werde ihn vorher noch waschen, keine Sorge). Moritz, Olaf, Stephan, Paul und Lukas haben mir das Schwimmen mehr oder weniger neu beibringen müssen und mich immer motiviert, im Becken Gas zu geben. Hartmut und die Jungs vom Tri-Team haben mich beim Intervalltraining jedes Mal über die Grenze gepusht. Ihr und alle anderen Sisus habt mir geholfen, im Training jeden Tag ein bisschen besser zu werden und dafür bin ich sehr dankbar!

3,8 - 180 - 42 km;  415 Frauen und 1754 Männer im Ziel

Pl  Name               AK  Pl      swim   T1     bike      T2     run       gesamt
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 1  Jessica Fridlund  W30  1	  55:54   2:18   5:15:32   1:59   3:29:03   9:44:45
50  Denise Kottwitz   W40  9	1:01:59   5:07   5:51:59   2:28   4:06:26  11:07:58
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 1  Boris Stein       PRO  1	  49:07   1:32   4:03:08   1:51   2:53:37   7:49:14
72  Maximilian Müller M18  2	1:01:55   4:23   4:56:39   2:51   3:14:44   9:20:33	

 


© TriGe Sisu Berlin; 6.9.2019