von Max Müller
Fotos © sportograf (sportograf.com)
Der Ironman in Kalmar ist für mich ein besonderes Rennen und der Grund, warum ich mich vor einigen Jahren intensiver mit dem Triathlon beschäftigt habe. Deshalb wird dieser Bericht auch etwas länger. Jedes Jahr habe ich im Sommerurlaub in Schweden die Atmosphäre dieses Rennens gespürt und 2018 beschlossen, da machst du auch mal mit. Nachdem mein erster Start 2019 bereits mit einem schönen Erfolgserlebnis endete, packte mich sofort das Wettkampffieber, und ich meldete mich am Tag danach für das Rennen in 2020 an. Dann kam Corona...
Die Austragungen 2020 und 2021 wurden jeweils frühzeitig abgesagt. 2022 sollte es nun endlich so weit sein, auch wenn sich meine Zielsetzung inzwischen geändert hatte. 2020 wollte ich unbedingt meine Altersklasse (M18-24) gewinnen und einen Hawaiiplatz sichern. Dieses Vorhaben schien nun in der neuen und deutlich stärkeren AK 25 unerreichbar, daher sollte sich zumindest die Zeit deutlich verbessern, und insgeheim schwirrte das Projekt Sub9 immer lauter in meinem Hinterkopf. Die Ergebnisse auf den kürzeren Strecken in der Liga und auf der Mitteldistanz beim Müritz-Triathlon wiesen in die richtige Richtung, aber irgendwie wollte der Funke nicht aufs Training überspringen. Das Langdistanztraining fühlte sich eher wie eine Bürde als nach Spaß an, und im Gegensatz zu meiner ersten Langdistanz in 2019 musste ich mir die wertvolle Trainingszeit deutlich besser einteilen. Insbesondere das Radtraining kam in diesem Zusammenhang leider zu kurz.
Daher ging es verhalten optimistisch und mit einigen Fragezeichen im Gepäck nach Schweden. Die Woche vor dem Rennen war für meinen Geschmack viel zu warm, und der Wetterbericht für den Samstag änderte sich quasi stündlich. Von Regen, Gewitter, Wolken, Sonnenschein und Hitze war alles dabei. Zudem wollten in der Rennwoche alle Schweden noch einmal ihre guten Beine unter Beweis stellen und den zahlreich angereisten Profis bei ihren letzten Einheiten vor dem Rennen folgen. Da ist es natürlich hilfreich, wenn man in seinem Dorf weit genug entfernt sitzt, um von dem Rennzirkus nicht allzu viel mitzubekommen.
Nachdem klar wurde, dass sich der Regen auf die Nacht vor dem Rennen beschränken würde, wurde das Rad so gut es ging mit Plastiktüten abgeklebt und am Freitag nach Kalmar in die Wechselzone gebracht. Das Carboloading verlief aufgrund der schwedischen Essgewohnheiten ausgezeichnet und diese Tatsache ließ bereits das erste Nervenflattern verfliegen. Ich hatte meine Rennwoche im Vorfeld gut durchgeplant. Dieser Plan gab mir die nötige Sicherheit, mit der enormen Anspannung vor einer Langdistanz umzugehen.
Das Schöne an dem Rennen in Kalmar ist, dass sich alle wichtigen Punkte in der Altstadt befinden, wodruch man sehr kurze Wege hat. Demensprechend konnte ich am Morgen in Ruhe mein Fahrrad vorbereiten, den Neo anziehen und mich auf dem Weg zum Schwimmstart an einer kleinen Badestelle einschwimmen. Mit dem Singen der Nationalhymne und einem lauten Kanonenschlag starte kurz vor sieben das Rennen der Profis und 5 Minuten später das der Agegrouper. Vor dem Schwimmen hatte ich diesmal die wenigsten Bedenken, da die Schwimmform in diesem Jahr nur eine Richtung kannte und zwar nach oben. Das Schwimmen war vorne im Feld ausgesprochen fair, was ich 2019 im großen Pulk noch ganz anders erlebt hatte. Da ich die Uhr in den Laufbeutel gelegt hatte, wusste ich nicht ganz genau nach wie vielen Minuten ich aus dem Wasser stieg. Allerdings vermutete ich, dass ich meine angepeilte Schwimmzeit von 58 Minuten erreicht haben müsste, da mit mir gemeinsam die ersten Frauen in der Wechselzone begrüßt wurden. Später sollte sich herausstellen, dass ich nur 56 Minuten im Wasser gebraucht hatte. Die Arme und Beine fühlten sich auch noch richtig locker an, was mich mit einem zufriedenen Grinsen aufs Rad steigen ließ.
Die ersten Kilometer auf dem Rad fühlten sich allerdings richtig zäh an, so dass ich befürchtete, dass es heute ein langer Tag werden würde. Der Wind war mäßig, aber von hinten rauschten die Über-Biker an mir vorbei und ich hatte nicht den Hauch einer Chance dran zu bleiben. Erst nach circa 20 Kilometern bildeten sich die ersten Gruppen in meiner Kragenweite, wobei auch hier sehr fair gefahren wurde. Von da an lief es wie am Schnürchen, und auf den ersten 120 Kilometern flog ich über die Strecke. Das Powermeter zeigte zwar durchgängig 10 Watt mehr an, als ich mir vorgenommen hatte, aber das war noch im Rahmen des Vertretbaren. Leider verließ mich der runde Tritt zurück auf dem Festland, und ich musste auf den letzten 60 Kilometern richtig ackern, um das Tempo halbwegs stabil zu halten.
Den Straßenbelag hatte ich leider deutlich besser in Erinnerung, als er es wirklich war, und die vielen Kurven, gepaart mit einem knackigen Gegenwind, machten das Treten immer unrhythmischer. Nach 155 Kilometern killte ein Schlagloch auch noch den Schlauch im Vorderrad und ich sah meine Traumzeit bereits in unerreichbare Ferne rücken. Dank der hervorragenden Trainingsbedingungen in Berlin und Brandenburg bin ich allerdings ein echter Profi in Sachen Schlauchwechsel geworden, konnte einen kühlen Kopf bewahren, den Schlauch wechseln und weiterfahren. Ich fand mich nun in mehreren großen Radgruppen wieder, wo ausnahmslos gelutscht wurde. Da fragt man sich, wieso einige nicht gleich mit dem Rennrad starten? Ein paar Plätze konnte ich wieder gut machen, indem ich mich von Gruppe zu Gruppe hangelte. Nach 4:55 h konnte ich zurück in die Wechselzone rollen – was leider keine Verbesserung im Vergleich zu 2019 war. Ohne den Platten wäre es vielleicht 5 Minuten schneller gegangen. Jetzt war klar, dass der Marathon richtig schnell werden müsste, um eine Sub9 noch knapp zu erreichen.
Jeder Triathlet weiß, dass ein Lauf im Triathlon ein ganz anderer Schuh ist, als ein Rennen auf der Straße ohne Vorbelastung. An dieser Stelle schon Mal ein großer Dank an die Sisu-Förderung und Stephan Schepe, denn das Bikefitting bei Stephan hat wahre Wunder bewirkt. Obwohl ich dieses Jahr kaum auf dem Zeitfahrrad gefahren bin, fühlte sich die Position über 180 Kilometer locker und bequem an. Wie man auf den Bildern sieht, wurden bei der Aerodynamik aber keine Abstriche gemacht. Dementsprechend fühlten sich die Beine trotz Vorbelastung gut an, und das Anlaufen des Marathons fiel nicht schwer.
In der Wechselzone traf ich Oliver Wykman, einen Bekannten aus Kalmar, der ebenfalls in der AK 25 am Start war und ein ausgezeichneter Läufer ist. Ausgezeichnet bedeutet hier in Schweden eine Marathon-Bestzeit von 2:37 h. Mir war also klar, dass ich mit Oliver beim Laufen gut zusammenarbeiten könnte, er aber vermutlich eine Nummer zu groß für mich ist. Zu uns gesellte sich der spätere Sieger der AK 45, der ebenfalls eine richtige Laufmaschine ist und auf der ersten Laufrunde das Rennen in seiner Altersklasse entschied. Zu diesem Zeitpunkt war mir die Platzierung in der eigenen AK ziemlich egal, aber ich wusste, dass unsere Gruppe wohl ordentlich Plätze gut machen würde. Mein Ziel war es, die Sub9 noch irgendwie zu erreichen, auch wenn mir im Hinterkopf klar war, dass dafür ein 3 h-Marathon-Split nötig wäre. Aus den Fehlern der Vergangenheit wollte ich gelernt habe und peitschte mir von Anfang an alles an Verpflegung rein, was mir in die Finger kam. Zum Glück gab es reichlich Verpflegungsstationen, außerdem stellten einige Anwohner bei den schwülen Temperaturen dankenswerterweise ihre Gartenduschen vor die Tür.
Oliver hatte an der kompletten Strecke seine Freunde und Familie postiert, die ihn kräftig anfeuerten. Da ich schwedisch sehr gut verstehe, wusste ich, dass wir nach der ersten Runde auf Position 2 und 3 waren, auf Sub9-Kurs lagen und er circa eine halbe Minute Vorsprung auf mich hatte. Auf der zweiten Runde zog er dann das Tempo etwas an, und ich freundete mich gedanklich mit einem AK-Podiumsplatz an. Sein Vorsprung dürfte zu diesem Zeitpunkt maximal eine Minute betragen haben. Am Ende der zweiten Runde fiel er allerdings wieder in unsere Gruppe zurück und so langsam wendete sich das Blatt. Am Start der dritten Runde hatte ich ihn und den anderen Schweden abgehängt, die das 3h-Marathontempo nicht mehr länger mitgehen konnten.
Als ich dann auch noch kurz danach den bis dahin führenden Briten überholte, der beim Laufen komplett geplatzt war, wurde mir langsam bewusst, dass ich hier auf Sieg laufen könnte. Zu diesem Zeitpunkt waren aber sowohl die Beine, als auch der Kopf komplett am Limit. Beim Marathon beginnt das Rennen eigentlich erst ab Kilometer 28, und ich hatte noch fast eine komplette Runde alleine vor mir. Statt an einen Sieg und die Sub9 zu denken, motivierte ich mich mit der nächsten Verpflegungsstation zum Weiterlaufen. Zwischendurch bekam ich die Info, dass mein Vorsprung auf 2 Minuten angewachsen war. Das Laufen war jetzt reine Kopfsache. Durchlaufen und gewinnen oder platzen und verlieren. Die 2 bis 3 Kilometer zwischen den Verpflegungsstationen fühlten sich wie ein Marathon durch die Wüste an.
Erst kurz vor dem Ziel, etwa bei Kilometer 40, bekam ich die Information, dass ich über 5 Minuten vorne lag und auch die Sub9 noch in Reichweite war. Beflügeln konnte mich das allerdings nicht mehr, denn der Marathon hatte unglaublich viel Kraft gekostet. Auf der Finishline war dann auch keine Energie mehr vorhanden, um ausgiebig zu feiern und dem Rennmotto "Race with a smile" gerecht zu werden. Wenig später fanden Oliver und ich uns im Medical Tent wieder. Man kann also getrost behaupten, wir haben alles gegeben. Vermutlich hatte ich an diesem Tag einfach die besseren Beine, die bessere Verpflegungsstrategie und das nötige Glück.
Am nächsten Tag bei der Siegerehrung ging es uns beiden zum Glück wieder gut, und als Sieger auf die Bühne gerufen zu werden war ein wirklich magischer Moment. Besonders imponiert hat mir der Sportsgeist von Oliver, der mir von allen Anwesenden am allerherzlichsten gratulierte. Zum Abschluss noch ein Foto mit dem Coach und das Rennen ist Geschichte. Und was ist mit Hawaii? In diesem Jahr sage ich ohne eine vergossene Träne "nein danke". Der Trip würde vermutlich 15 bis 20.000 Euro kosten, doch das Rennen hat aufgrund der Geschäftspolitik von Ironman seinen sportlichen Stellenwert verloren. Aus meiner Sicht ist Hawaii keine Weltmeisterschaft mehr, und für 20.000 Euro kann ich auch woanders viele schöne Rennen machen. Viele sahen das anscheinend ähnlich, denn die verbliebenen Athleten wurden vom Moderator fast schon angebettelt, doch bitte einen Slot anzunehmen. In vielen Altersklassen erbarmten sich schließlich Athleten deutlich jenseits der Top10.
Wer es bis hierhin geschafft hat, darf sich nun auf das Fazit freuen... Das Schwimmen hat sich innerhalb von 3 Jahren von der Schwachstelle zu einer Stärke entwickelt. Wer hätte das gedacht? Wichtige Bausteine waren hier die Trainingslager in Lindow und die Möglichkeit trotz Schließung des Ankogelbades drei Mal pro Woche zu trainieren. Ab und an durfte ich auch mit den Friesen, dem TVB oder der Mannschaft vom Team Berlin trainieren. Ein großes Dankeschön also an alle Trainer, die mir wahrscheinlich trotzdem weiterhin die ungeliebten Lagen-Programme aufdrücken werden.
Auf dem Rad fehlten mir dieses Jahr die Zeit und oft auch die Lust. Wenn ich das Haar in der Suppe suchen wollte, würde ich hier wohl fündig. Mein Coach Cosima hat gerettet, was zu retten war, und mich mit einem knackigen Programm in den Wochen vor dem Rennen auf den Punkt genau vorbereitet.
Beim Laufen habe ich das Rennen gewonnen und im Vergleich zu 2019 fast 15 Minuten rausgeholt. Es wird immer meine Lieblingsdisziplin bleiben. Mit verhältnismäßig wenig Trainingsaufwand konnte ich den Marathon im Ironman ziemlich konstant im 3 h-Tempo durchlaufen. Auch das ist ein Erfolg von Cosima, denn die Laufbelastung im Training war immer sehr genau austariert. Daher bin ich seit zwei Jahren quasi verletzungsfrei und habe mich auf allen Distanzen verbessert. Mit dem Sieg in Kalmar und der Sub9 ist ein sportlicher Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Mal sehen, welche Ziele sich für die nächsten Saisons bereithalten.