Ironman Kopenhagen 18.8.2024

von Martin Seller

Aus der „Nach-Corona-Euphorie“ vor 2 Jahren hatte ich für den Ironman Kopenhagen 2023 gemeldet. Aber wie soll’s anders sein, hat mir meine erstmalige Covidinfektion, die ich aus dem Flieger zurück aus Mallorca im März 23 mitgebracht habe, die Vorbereitung ordentlich versemmelt.

Damit war der schöne Effekt des Trainingslagers auf Mallorca mehr als dahin, da es mich über 3 Wochen hingerafft hatte. Eigentlich wäre bis Mitte August noch ausreichend Zeit gewesen, aber Veränderungen im Job hatten das Stresslevel nur erhöht und die Möglichkeit des kostenlosen Transfers auf 2024 hat diesen zusätzlichen „Trainingsstress“ schlagartig reduziert. Es fühlte sich schon wie eine Befreiung an.

Für 2024 war mir relativ bewusst, dass mit Familie und Beruf nur eine reduzierte Vorbereitung möglich ist und das Ziel nur sein kann, irgendwie den Ironman und die Atmosphäre genießen zu können. Dennoch ganz ohne Training geht es auch nicht. Und die Planung dafür ist immer mit heißer Nadel gestrickt. Sobald ein Kind krank wird, kippt die ganze Planung, weil man eben nicht die Mittagspause für ein Läufchen oder Schwimmen nutzen kann. Und die Vorbereitung an sich war alles andere als optimal.

Schwimmen: naja, einmal die Woche 2 Kilometer, vielleicht ab und zu noch ein zweites Mal. Aber viel mehr als 2 Kilometer war nicht drin. Radfahren: Lange Einheiten undenkbar. Aber dafür 4 – 5 mal in der Woche eine Stunde auf der Rolle, wenn die Kinder abends geschlafen haben. Laufen: Seit Anfang des Jahres hatte ich beim Laufen chronische Schmerzen im linken Knie, die dazu führten, dass man mindestens ein Tag Pause zwischen den Laufeinheiten einlegen musste und Tempoeinheiten sowieso ausgeschlossen waren.

Wir sind mit unserem Camper das Wochenende vor dem Wettkampf nach Rerik an die Ostsee gefahren, um dann Dienstag mit der Fähre weiter nach Dänemark zu kommen. In Kopenhagen hatten wir einen guten und praktischen Campingplatz im Westen der Stadt bezogen. Die Anmeldung hatte ich bereits am Donnerstag erledigt, um gar nicht zu viel in Stress zu geraten.

Am Tag zuvor bin ich bereits eine Runde der Radstrecke abgefahren, die meiner Meinung nach einer der schönsten Strecken im Rennzirkus ist. Es geht zunächst ca. 20 km nördlich raus aus Kopenhagen und dann beginnt eine 68km lange Runde im Hinterland, die eigentlich niemals flach ist, aber auch keine längeren Anstiege beinhaltet. Es sind dennoch ca. 1.300 hm auf die 180 km.

An dem Donnerstag nach der Anmeldung habe ich die Schwimmstrecke getestet, worüber ich sehr froh war, denn man schwimmt in einer Art Lagune hinter dem Meer in absolut glasklarem Wasser mit relativ wenig Quallen. Aber man schwimmt durch gefühlt einen ganzen Urwald von Seegras.

So was ist ja eigentlich meine Horrorvorstellung, von Seegras am Bein festgehalten zu werden... Aber bis auf das es ab und zu selbst im Gesicht kitzelt, gewöhnt man sich dran. Dennoch wäre es zu einem riesigen Überraschungsmoment im Rennen gekommen. So war ich darauf eingestellt. Was mich an den Tagen davor am meisten störte, war diese unendliche Nervosität. Beim Rad Check-in fragte mich mein „Radnachbar“, ein Engländer, ob es meine erste Langdistanz ist. Ich sagte ihm, gefühlt auf jeden Fall, da die letzte schon 6 Jahre her ist.

Um 3:00 Uhr klingelte der Wecker und gegen 4:30 Uhr machten wir uns auf den Weg zur Wechselzone. Ich hatte mit Dani abgesprochen, dass sie sich mit den Jungs den Start anschauen und danach ins Tivoli, einen sehr bekannten Vergnügungspark in Kopenhagen, fahren und wir uns dann erst im Ziel wieder sehen werden. Alles andere wäre mit zwei Kindern im Alter von 3 und 6 Jahren einfach Blödsinn.

Es war ein wunderschöner Morgen mit klarem Himmel, noch recht frischen Temperaturen, aber der Tag versprach perfekte Rennbedingungen mit ca. 22 Grad und Sonne satt. Die finalen Handgriffe vor dem Rennen inkl. Neoprenanzug anziehen waren schnell erledigt und ich verspürte inzwischen eine innere Ruhe. Wozu nervös werden? Das ist alles reine Kopfsache. Auf dem Weg zum Schwimmstart musste ich sogar schmunzeln, als ich die ganzen blassen Gesichter und leeren Blicke der Teilnehmer gesehen habe.

Wir machen das alles, weil wir es lieben, aber fühlen uns wie auf dem Weg zum Schafott. Und eigentlich wissen wir, dass mit dem Startschuss jegliche Nervosität verfliegen wird, weil alles, was kommt, längst bekannt ist.

Ich hatte noch 30min bis zum Start, schwamm mich kurz ein und sortierte mich dann in den Vorstartblock ein. Diesen musste man bereits bei der Anmeldung entsprechend zu erwartenden Schwimmzeit aussuchen, bzw. eine entsprechend farbige Badekappe auswählen. Unwissend (wie gesagt, letzter Ironman war über 6 Jahre her und die Schwimmform eine absolute Blackbox) was ich erwarten soll, entschied ich mich für Startblock 2 (zw. 1.01 und 1:05h). Vorab ging ich von einer Zeit zw. 1:05 und 1:10 aus.

Der Rollingstart verlief ohne nennenswerte Vorkommnisse, ich konnte mich schnell links außen einordnen und konnte relativ frei und entspannt schwimmen. In der Anfangseuphorie überholt man noch, irgendwann wird man dann überholt. Ich konnte mein Tempo überhaupt nicht einschätzen. Das Seegras und die Quallen waren unproblematisch und ich konnte sogar ab und zu den Boden erkennen und mit meiner Körpergröße zwischendrin ein paar Hechtsprünge einbauen. Die waren auch bitte notwendig, da bei mir ab ca. 30-40min langsam Wadenkrämpfe beginnen. Die andere Belastung der Muskeln hilft dagegen. Das Schwimmen war dann nach 1:04 vorbei, was mich doch positiv überraschte.

Ab auf’s Rad. Ich gönnte mir in der Woche vor dem Wettkampf nochmals bei Stephan eine Spirometrie, womit ich wusste, dass ich ca. 230-240 Watt im Schnitt treten kann, ohne mich dabei in den Keller zu fahren. Der Fokus sollte also darauf liegen in den Werten zu bleiben und auch bei den ganzen Wellen nicht einfach drüber zu pressen mit Spitzen über 400 Watt. Die wird man später sicher bereuen.

Gesagt getan ging es nun zunächst die 20km stadtauswärts nach Norden. Der Straßenbelag in der Stadt war erwartbar wechselhaft mit Baustellen, Radwegen und allerlei Schlaglöcher. In der Zeit bleibt man am besten mit den Händen am Unterlenker und bremsbereit. Zum Eingang in die 2 Runden hatten sich dann soweit die Felder auch sortiert, dass man mit leistungstechnisch mit „Seinesgleichen“ unterwegs war.

In der ersten Runde waren wir zu fünft, wobei mir unangenehm ein junger Däne und ein Brite auffiel, die bei der 12 Meter-Regel (Abstand zum Vordermann) wohl das Komma falsch gesetzt hatten und es eher 1,2 Meter waren. Beide schauten sich immer um, ob ein Kampfrichter in der Nähe war.

Wir anderen drei schüttelten dabei nur den Kopf. Nach ca. 85km fährt man wieder ca. 10km flach am Meer zurück Richtung Süden, bevor es dann in die zweite Runde geht. Johannes, ein deutscher Mitstreiter, der das gleiche Fahrrad wie ich fuhr und ich entschieden uns dann in einer Wechselzone, diese auszulassen (wir hatten beide einen Wassertank im Rahmen), um eine kleine Attacke zu fahren, um die Dänen und den Engländer loszuwerden.

Die ist uns auch gut gelungen, auch wenn die Arbeit vorn im Wind ordentlich die Werte nach oben trieb. Gerade auf diesem Teilstück merkte man, welcher Windschatteneffekt selbst bei 12-15m noch vorhanden war. Inmitten der zweiten Runde überholte uns eine schnellere Dreiergruppe (im fairen Abstand). Da Johannes jünger und fitter war als ich, wusste ich, dass er dort wohl mitfahren wird. Ich fühlte mich nach 120km aber immer noch recht frisch und mit der Erfahrung von Runde eins war mir auch bewusst, dass wenn ich da nicht dranbleibe, wird der Rückweg zur Wechselzone ganz alleine am Ende anstrengender und langsamer.

Allerdings musste man dafür dann doch ab und zu über Wellen pressen und die Wattwerte über 400 Watt anwachsen lassen. Die Beine ließen es aber noch zu und der Rückweg war tatsächlich 4-5km/h schneller bei 10 Watt weniger als in der Runde zuvor. Als es wieder in die Stadt ging hatte ich einen Israeli vor mir, der scheinbar nur auf der Rolle trainiert hatte, weil er bei jeder Kurve eine größere Lücke reißen ließ, die er dann immer zu presste. Also musste ich da schnell vorbei, um halbwegs gleichmäßig fahren zu können und den Kontakt zur Gruppe nicht zu verlieren.

Angekommen in der Wechselzone staunte ich erst einmal nicht schlecht über die Radzeit. Mit 4h40 bei 178,5km hätte ich im Leben nicht gerechnet. Daran sieht man, dass es gar nicht auf die Heldeneinheiten im Training ankommt, sondern sich der Spruch „Consistency is Key“ bewahrheitet und 4-5 mal 1h Rolle pro Woche auch ausreichen können, wenn man eine gewisse Anzahl an Lebenskilometer hat.

Vor dem Laufen hatte ich den meisten Bammel, denn mit 30-40km im Schnitt pro Woche und gerade einmal 3 längeren Läufen im Vorfeld (25, 27 und einmal 30km) wusste ich, dass es eher ein Wandertag, als ein Lauf werden wird. Was ich aber überhaupt nicht gedacht hätte, dass die wunderschöne Laufstrecke (die Streckenführung durch die Stadt und an den Häfen entlang ist ein Traum) ca. 30% Kopfsteinpflaster pro Runde (4 Runden waren zu laufen) hatte. Und die neuen Wunderschuhe mit Karbonsohle führen dazu, dass die Richtung der Kraft, in die der Schuh auf den Boden auftritt, exakt zu 180 Grad zurückgespiegelt wird. Damit werden die Unebenheiten von Kopfsteinpflaster nicht ausgeglichen, sondern hauen dir wieder direkt in die „angeschossenen“ Beine zurück. Richtig angenehm… Und das Knie freut sich besonders.

Also war das Laufen eher ein Schleichen. Ich entschied mich die Verpflegungsstationen durchzugehen und dazwischen zu joggen. Dies geling mir eigentlich von Anfang bis Ende. Die Stimmung an der Laufstrecke war dabei gigantisch, vergleichbar mit der Laufstrecke in Frankfurt. Ich hörte ständig meinen Namen und auch deutsche Touristen, die mich unbekannterweise anfeuerten. Am schönsten fand ich den Spruch eines Zuschauers auf seinem Schild: „Pain ist temporary, Strava is forever!“ Mit einem Highfive quittierte ich seinen Spruch.

Die Familie hatte es rechtzeitig in den Zielbereich geschafft, sodass ich mit Johann noch abklatschen konnte, bevor ich lächelnd durch’s Ziel gelaufen bin. Jedes Mal, wenn ich im Vorfeld gefragt wurde, was ich mir denn für eine Zeit vornehme, entgegnet ich, eigentlich gar keine, aber wenn’s zw. 10:00 und 10:15h wird, wäre ich sehr happy. Mit 10:09h war ich also absolut glücklich, bei der Vorbereitung.

Und Leute, dieses Gefühl danach so richtig platt zu sein, ist das Schönste überhaupt. Dafür, nur dafür macht man das alles. Dennoch wird die nächste Langdistanz erst kommen, wenn die Jungs wesentlich größer und selbständiger sind, denn für die Familie bedeutet die Vorbereitung einfach nur massiven Stress und es ist einfach total egoistisch. Alles darunter, Mitteldistanz oder olympische Distanz, ist Familientauglicher.

Jetzt sitz ich hier und schreibe diesen Bericht, während ich seit Tagen krank bin, gestern sogar mit Kehlkopfentzündung und Stimmverlust. Ach ja, wie gut, dass die Saison rum ist.

 


© TriGe Sisu Berlin; 5.10.2024