von Harry Meißner
Action-Fotos: alphafoto.comIm Herbst des vergangenen Jahres habe ich mich entschieden, in diesem Jahr keine Langdistanz zu machen, um ohne Stress zu schauen, wie meine Fußverletzung auf kontinuierliches Lauftraining reagiert. Daher suchte ich nach einer anderen Herausforderung und entschied mich, beim Inferno-Triathlon in der Schweiz zu starten. Ein Wettkampf mit einem eindrücklichen Höhenprofil: Schwimmen 3,1 km, Rennrad 97 km mit 2145 Hm Steigung, MTB 30 km mit 1180 Hm Steigung und zum Abschluss ein Berglauf über 25km mit 2175 Hm Steigung. Das Ziel befindet sich auf dem Schilthorn in 2970 m Höhe.
Nach einer Krankheitsphase im Frühjahr, die mich sehr zurückgeworfen hat (CTL 61), konnte ich abgesehen von Klassenreise und Urlaub beschwerdefrei trainieren, wobei ich immer wieder versuchte, einige Höhenmeter ins Training einzubauen, was sich jedoch als eher schwierig und mühsam gestaltete: Meine erste Berglaufeinheit auf dem Skihang des Teufelsbergs endete mit müden 700 Hm und einem solchen Muskelkater – vom Bergablaufen! – dass ich drei Tage lang kaum eine Treppe hoch kam. Und nach 20 Intervallen auf den Insulaner fühlte ich mich zwar schon wie ein Bergheld, mein Garmin konstatierte jedoch unbestechlich: keine 400 Hm. Man kann noch den Willi dauernd hoch und runter düsen, auf Zwift Höhenmeter machen, aber eine Bergziege kann ich in Berlin nicht werden. Während des Trainings beschäftigte mich auch immer wieder die Frage, was ziehe ich an und was deponiere ich in den unterschiedlichen Wechselbeuteln, da ja das Wetter im Gebirge mitunter schlecht voraussagbar ist. Zwei Wochen vor dem Rennen durchlebte ich noch einen Schreckmoment, als ich mich mit dem Stadtrad auf regennasser Fahrbahn lang machte und mir das Handgelenk prellte. Glücklicherweise half Ruhigstellen soweit, dass ich am Wettkampftag ohne große Schmerzen fahren konnte.
Am Donnerstagnachmittag machten wir uns auf den Weg – dank meines Einsatzes als Wahlleiter bei der Europawahl konnte ich zwei Tage in der Schule fehlen –, fuhren erst bis Freiburg und dann am nächsten Morgen weiter bis Oberhofen am Thuner See, um nacheinander die drei Wechselzonen (bzw. sogar vier, denn beim Berglauf konnte man für die letzten 10 km noch einmal warme Kleidung deponieren) zu bestücken. Die Wettervorhersage verhieß stabiles, teils sonniges, großteils bedecktes Wetter mit Temperaturen zwischen 23 und 9 Grad auf dem Gipfel, was die Kleiderwahl erleichterte.
Um 6:30 Uhr fiel der Startschuss und los ging es quer durch den türkisen Thuner See. Mit knapp 17 °C war das Wasser recht frisch, jedoch mit Neo aushaltbar. Mein Schwimmen war entspannt, ohne große Prügelei, sicherlich war allen bewusst, dass der Tag noch lang würde. Meine Krafteinteilung war offensichtlich gut, denn nach der Hälfte konnte ich konstant Leute überholen. Durch die Größe des Sees war es, für mich unerwartet, recht kabbelig, und nach einer knappen Stunde saß ich etwas fröstelig auf dem Rennrad.
Dies sollte sich jedoch schnell geben, denn nach kaum 500 m entlang des Sees ging es auch schon bergauf. Nachdem ich anfänglich noch dachte, du kannst doch nicht schon auf den ersten Kilometern des Rennens im kleinsten Gang fahren, verabschiedete ich mich sehr schnell von diesen Gedanken und kurbelte bergan. Diesen ersten Anstieg bewältigte ich noch ganz okay, obwohl ich neidisch feststellen musste, dass fast alle anderen Athleten z.T. deutlich leichtere Gänge aufliegen hatten – da fehlt einfach die Erfahrung. Nach der Flachpassage begann der Anstieg zur Großen Scheidegg und jetzt wurde es schon richtig hart für mich. Mein wirklich ausgebuffter raceplan beim Radeln Körner für das Laufen sparen zu wollen, war spätestens hier hinfällig, wenn es nur noch darum ging überhaupt bis zur nächsten Kurve zu kommen. Wie gerne würde ich jetzt den Schalthebel noch drei Klicks nach links bewegen – blöd nur, dass ich schon im kleinsten Gang fahre. Irgendwann bin ich oben und rolle rasant auf Asphalt hinab nach Grindelwald, wo mein Mountainbike auf mich wartet.
Die MTB-Stecke ist nur 30 km lang, aber kaum habe ich die Wechselzone verlassen, geht es auch schon bergauf: 11 km Anstieg zur kleinen Scheidegg, gut 2/3 Asphalt und dann Schotterpiste. Innerhalb kürzester Zeit kurbele ich schon wieder auf dem kleinen Blatt und versuche, bei flacheren Passagen sofort ein bis zwei Gänge runterzuschalten, damit ich mir das nächste Steilstück etwas erträglicher gestalten kann. Inzwischen bin ich im absoluten Überlebensmodus, jedes Quantum an Energie ist notwendig, um voranzukommen. Erfreulicherweise kommt nach der guten Hälfte des Anstiegs eine flachere Passage, auf der das Radel mal wieder etwas rollt. Die Erleichterung währt jedoch nicht allzu lange, der Untergrund wechselt zu Schotter und zur allergrößten Freude wird es jetzt noch steiler. Die Ersten steigen ab und schieben, und auch ich geselle mich bald dazu. Der restliche Anstieg ist für mich meist Schieben mit kürzeren Abschnitten auf dem Radel, einige Leute fahren jedoch auch. Insgesamt habe ich für diese läppischen 10,5 km 1:39 Stunden gebraucht.
Am Vorabend hatte ich noch zu Hanka groß getönt: "DNF is not an option", aber vielleicht muss ich einfach anerkennen, dass das Rennen für mich als Flachlandtiroler einfach zu hart ist. Irgendwie komme ich oben an, es ist kühl und sofort geht es auf Schotterwegen bergab ins nächste Tal. Von hinten kommt ein Athlet nach dem anderen brüllend, ich solle rechts fahren, an mir vorbeigebrettert – ist mir unbegreiflich wie man so erschöpft und fröstelnd dermaßen bergab rasen kann. Ich riskiere nichts und bin nur baff erstaunt, als die Strecke unterhalb der Baumgrenze auf einen Singletrail abzweigt, über Wiesen und Geröll, teils verblockt, durch den Wald über freistehende Wurzeln – da hatte ich wohl die Rennbeschreibung nicht genau genug gelesen. So heißt es für mich an einigen Stellen auch bergab zu schieben, da ich mich nicht traue zu fahren. Nach einer kurzen Flachpassage im Tal erreiche ich die letzte Wechselzone und schlüpfe in meine Laufschuhe.
Hier erwartet mich Hanka, der ich gestehe, wie fertig ich bin. Aber jetzt wendet sich das Blatt für mich: Die Sonne scheint, es geht mir unerwartet gut beim Laufen, keine Krämpfe, die Strecke geht leicht bergab an einem Fluss im Tal entlang und die ersten 5 km kann ich deutlich unter einem 5er Schnitt anlaufen. Dann wechseln wir auf einen Waldweg und der Anstieg beginnt: Schon bald lege ich, wie fast alle, die ich zu diesem Zeitpunkt noch sehe, die ersten Gehpassagen ein und wander-laufe voran. Im Gegensatz zu den meisten anderen Athleten gelingt es mir bei flacheren Teilstücken immer noch zurück ins Laufen zu kommen und dadurch einige Plätze gutzumachen. Nachdem ich im letzten Depot meine warme Kleidung für die letzten 9 km und 1300 Hm angelegt habe, bin ich mir sicher ins Ziel zu kommen – auch wenn es noch zwei weitere Stunden dauern wird. An manchen Stellen wird es brutal steil, das Gelände zunehmend hochalpin, längst bewegen wir uns zumeist auf schmalen Wanderpfaden, wir queren drei kleine Schneefelder, klettern bergauf über in den Fels gehauene Stufen, laufen über einen schmalen Grat, aber irgendwann endet auch diese Tortour und ich erreiche das Ziel auf dem Schilthorn nach 11:51:12 h. Hanka erwartet mich und ich bin überwältigt von der Anstrengung und von meinen Gefühlen. Hinter uns leuchten Eiger, Mönch und Jungfrau mit ihren Gletschern in der Abendsonne, der Blick ins Tal erscheint mir irreal: Hier bist du gerade hochgelaufen...
Nachbetrachtung: Ein extrem gut organisiertes Rennen vor absolut spektakulärer Kulisse auch wenn man während des Rennens vielleicht nicht immer so den Blick dafür hat. fun-fact: Sobald meine Laufgeschwindigkeit unter 30 min/km sank, versagte der Garmin seinen Dienst: Für solche Höllengeschwindigkeiten ist er offensichtlich nicht ausgelegt ;-) Ich bin jetzt schon mehrfach angesprochen worden, ob ich es noch einmal machen würde, aber ich glaube nein: Von meiner Leistung her ist da ohne spezifischeres Training nicht viel mehr drin, das Wetter war zwar nicht traumhaft, aber gut bis sehr gut (da können sicherlich auch ganz andere Bedingungen herrschen) und das Erlebnis des Wettkampfes mit diesen Anstrengungen vor solch einer Kulisse hatte ich.