Bericht UTMB Istria 100 Trail 7.4.2024

von Denise Kottwitz

Der Ultra Trail Mont Blanc (UTMB) ist für die Trailläufer das, was für die Triathleten Hawaii ist. Auch für diesen Lauf muss man sich qualifizieren, allerdings nicht über eine Platzierung sondern über das Sammeln von "UTMB Stones" – die man dann in einen Lostopf werfen darf. Die Königsdisziplin sind 100 Meilen, aber man kann auch Steine für 20, 50 und 100 Kilometer sammeln.

Ein Rennen der UTMB Serie ist der Istria100 Trail in Kroatien. Ich bin wegen der weiten Anreise anfangs nicht so begeistert, als sich mein Mann Freunden bei der Teilnahme anschließen will. Dann entdecke ich aber, dass der Termin in der Woche nach Ostern liegt und Istrien sich wunderbar zum Radfahren eignet. Also wird die Reise für mich ein Trainingslager mit Wettkampfteilnahme.

Zwei Freundinnen wollen sich auf die 110 Kilometerstrecke mit 3800 Höhenmetern wagen und Andreas die 69 Kilometer mit 2200 Höhenmeter bezwingen. Neben den 100 Meilen könnte man auch noch einen Marathon laufen. Zum Glück wird noch ein Bambinilauf angeboten, so dass ich auf der Halbmarathonstrecke auch an diesem Event teilnehmen kann.

Durch Zufall wählen wir das Partnerhotel des Veranstalters. Hier wird rund um die Uhr ein Shuttle zum Veranstaltungsgelände angeboten. Jedoch ist dies nur ein Kleinbus. Der ist immer überfüllt, wenn wir ihn nutzen wollen. Aber das Finisher-Büfett im Hotel zu haben, ist schon ganz praktisch.

Die Vorbereitungen

Startunterlagen und Messe gibt es in einer großen Turnhalle, die wir schon Donnerstag Abend besuchen. Von Namenswand bis Vorstellung der Profis wird hier alles geboten. Nach Erhalt eines Startbandes um den Arm und eines Umschlags mit Startnummer muss ich erstmal zur Info, meine vielen Fragen loswerden. Gibt es vor dem Rennen mehr Shuttle oder wo findet man Parkplätze, wo bekommt man vor sechs Uhr einen Kaffee, wie funktioniert die Tracking App und wie ist das mit der Pflichtausrüstung – denn leider unterscheiden sich hier die Angaben zwischen RaceGuide und Hinweisen auf den Startunterlagen. Die Frau am Infostand ist begeistert: "I love you! Challenge me with more questions so I can test if I am well prepared." Tatsächlich ist sie gut vorbereitet und kann bei allem weiterhelfen.

Startgebühr für den Halbmarathon war 55 Euro, plus 10 Euro für den Bustransfer zum Start. Spontan anmelden wäre nicht gegangen, da alle Distanzen komplett ausgebucht waren. Für den Startpreis gibt es ein Finisher-Shirt und einen Rucksack. Der Rucksack macht einen robusten Eindruck, und ist mit Laptopfach und USB Ladestick sicher praktisch. Aber das Design in feschem Grau ist nicht so der Brüller, da sind wir uns alle einig.

Am Freitag gönne ich mir eine schöne Radtour durch Slowenien, während meine Leute auf der Jagd nach Kohlenhydraten sind und die letzten Vorbereitungen treffen. Um 17.00 Uhr fällt schon der Startschuss für die 100 Meilen Läufer. Einige von Ihnen treffe ich in der Hotellobby: mit Kühlbox, Schlafsäcken und reichlich anderem Gepäck. An bestimmten Punkten kann man nämlich sogenannte Dropbags hinterlegen, für Wechselkleidung oder ähnliches. Also was Material betrifft, können die Ultraläufer mit uns Triathleten mithalten!

Apropos Material. Die Pflichtausrüstung ist ziemlich beeindruckend, muss in den Bergen sicher auch sein. Trinkbecher, Telefon und Erste Hilfe Set sind für alle Pflicht. Je länger die Strecke, je mehr Kleidung muss mitgenommen werden. Dabei gibt es präzise Vorgaben, z.B. zu der Regenjacke:

"Jacket with hood for bad weather in the mountains. The jacket must be made with a waterproof (minimum recommended 10 000 Schmerber) and breathable (RET recommended inferior to 13) membrane (eg. Outdry). The jacket must, imperatively, have an integrated hood or one which is attached to the jacket by the original system designed for that purpose by the manufacturer. The seams must be sealed. The jacket must not have sections of fabric that are not waterproof, but air vents fitted by the manufacturer (under-arm, in the back) – since they do not damage in any obvious way the impermeability – are accepted."

Ich weiß gar nicht, ob eine meiner Regenjacken diese Bedingungen erfüllt. Beim Halbmarathon wird man glücklicherweise von der verpflichtenden Mitnahme auf Grund des guten Wetters befreit.

Renntag als Supporter

Meine Freundinnen müssen sich halb fünf morgens auf den Weg machen, ihr Startschuss fällt um sieben. Mein Mann hat zwei Stunden mehr Zeit und kann von dem ab fünf angebotenen Frühstück im Hotel profitieren. Ich fahre ihn mit dem Auto zum Veranstaltungsgelände, da wir dem Shuttle nicht vertrauen (und der dann auch tatsächlich zu voll ist). Von dort aus gibt es dann die Busse zum Start, pünktlich und gut organisiert.

Ich verbringe den Tag mit Schwimmen, Radfahren und Whirlpool. Supporter bei einem UTMB Trail besteht nämlich hauptsächlich aus der Überwachung des Telefons. Außer an bestimmten Punkten ist Unterstützung der Athleten verboten und führt bei Zuwiderhandlung sogar zu Disqualifikation. Ich hätte Andreas nur am Verpflegungspunkt bei Kilometer 32 anfeuern können – aber selbst das nicht, weil Support nämlich bei der Anmeldung mit angegeben werden muss und sich der Unterstützende auch vor dem Rennen registrieren muss. Aber die Tracking App hält mich auf dem Laufenden, Andreas ist sogar schneller als anvisiert und passiert den Cut-off mit einem Puffer von 1,5 h. Auch bei den Mädels läuft es hervorragend.

Gegen Abend gehe ich in die Stadt, bummele etwas im Zielbereich herum und setze mich in ein nettes Hafenlokal an dem die Läufer vorbeikommen. Die Gewinner der 168 Kilometerstrecke waren schon Mittag mit ca. 19 Stunden im Ziel, die Langsamsten werden bis Sonntag nachmittag 46 Stunden brauchen. Die Schnellsten der anderen Strecken sind auch schon durch, zum Sonnenuntergang kommen vor allem Marathonläufer mit Zeiten um 7 Stunden an.

In der Dunkelheit gehe ich in den Zielbereich. Hier gibt es richtig tolle Musik von einer Live-Band. Die Zieleinläufe reichen von beschaulicher Stille bis zur riesigen Party. Die Ankunft von Andreas wird ziemlich gut vorhergesagt, nach 12 Stunden und 48 Minuten ist er im Ziel. Ich finde, dass er für diese Leistung noch ziemlich gut aussieht und beglückwünsche ihn stolz. Große Begeisterung zeigt er im Ziel allerdings nicht, sondern schimpft nur darüber, dass der Trail tatsächlich bis mitten in die Stadt geht und im Dunkeln schwer zu laufen war.

Für uns geht es dann direkt ins Hotel zurück, und während Andreas noch zum rund um die Uhr angebotenen Finisher-Büfett geht, lege ich mich schon schlafen. Denn ich muss ja am nächsten Tag früh raus. Um halb eins sehe ich auf der App, dass eine Freundin nach 17,5 Stunden im Ziel ist. Die andere Freundin packt die Strecke mit 21 Stunden morgens um vier.

Mein Renntag

Mein Ultraläufer ist auch früh wieder wach, will sich aber noch nicht bewegen. Ich fahre nach dem Frühstück mit dem Auto zum Startpunkt des Bustransfers. Hier ergattere ich einen schönen Aussichtsplatz ganz vorn. Verwundert stelle ich fest, dass der Bus genau die Route wählt die ich am Vortag lang geradelt bin. Startpunkt ist der kleine Ort Groznjan. Im Gewusel der Halbmarathonläufer machen sich hier immer noch 100 Meilen Kämpfer auf den Weg.

Da bis zum Start noch etwas Zeit ist, suche ich mir abseits ein nettes Bänkchen mit toller Aussicht und denke an eine Freundin: "Man muss ja im Urlaub auch einfach mal nichts tun, wie normale Leute". Nachdem der Programmpunkt erledigt ist, gebe ich meine Wechselkleidung ab und fiebere mit Unterstützung einer Trommelgruppe dem Start entgegen. Groß aufgeregt bin ich nicht, da ich nicht ambitioniert auf Tempo laufen möchte, sondern den Lauf erleben und meinen Leuten hinterher berichten will, wie dieser Teil der Strecke bei Tageslicht aussieht.

Los gehts bergab 500 Meter durch den Ort und schon verlassen wir den Asphalt auf einen breiten Feldweg. Wobei Feldweg etwas harmlos klingt, da viele Steine als Stolperfallen die Strecke erschweren. Zum Laufen geht es gut, aber für ein Foto halte ich doch lieber kurz an. Der Weg wird zunehmend schmaler und steiniger. Laut Thermometer sind es nur etwa 18 Grad, aber die direkte Sonne fühlt sich wärmer an. Nach etwa acht Kilometer erreichen wir den Ort Buje. Schon im Wald höre ich lautes Jubeln und wundere mich über eine potentielle Fangemeinde. Weit gefehlt: die Strecke führt am Fußballstadion vorbei, wo die örtliche Kindermannschaft ordentlich angefeuert wird.

In Bujet gibt es eine und die einzige Verpflegungsstation auf der Strecke. Dafür geht es steil die Straße bergan und schließlich noch ein paar Stufen in den Innenhof eines Lokals. Ich werfe einen Blick auf das Büfett: Obst, Salzgebäck, Waffeln und Käsewürfel. Ich steuere das Wasser an: Klappbecher raus und dreimal nachgefüllt. Erwähnte ich schon, dass es sich verdammt heiß anfühlt? Ob es doch so eine gute Idee war ohne Trinkrucksack zu laufen? Wenigstens hatte ich im letzten Moment noch eine faltbare Trickflasche eingepackt, die mir parallel eine Helferin befüllt.

Weiter geht es steil bergan in Bujet, bevor sich das Meer stolz vor einem präsentiert. Nun sind nur noch 14 Kilometer bergab zulaufen. Ich bin sicher nicht die einzige die "nur noch" denkt.

Durch einen schönen Olivenhain schlängelt sich ein breiter Weg, der abwechselnd schlammig oder steinig ist. Es folgt ein netter schmaler Weg durch ein Stückchen Wald und dann geht es parallel eines Flusslaufes auf einem grasdurchwachsenden Weg. Das Gras spriesst durch eine ausgetrocknete Traktorspur. Es läuft sich furchtbar, da man ständig am hin- und herwackeln ist und irgendwie gar nicht vorankommt. Mir schmerzen die Beine ordentlich, was aber sicher auch an einigem Radkilometern in den letzten Tagen liegt. Um mich herum sind viele schon ins Gehen übergegangen und ich bin froh hier doch eher langsamer gestartet zu sein.

Wir kommen über einen Weg mit kleine Kieselsteinen und ich traue meinen Augen kaum: da geht jemand ohne Schuhe! Ich kann auch nicht erkennen, dass er Schuhe dabei hat. Der ist doch nicht etwa schon 150 Kilometer ohne Schuhe unterwegs? Ich mache schon vom Anblick schmerzverzerrt ein Foto von hinten. Ich laufe vorbei ohne zur Seite noch mal auf ihn zu schauen: das Elend will ich nicht näher sehen.

Apropos Elend: ich überhole noch einige der 100 Meilen Läufer. Einige sind noch gut wandernd oder gar laufend unterwegs, die meisten kriechen aber über die Strecke. Also Athleten beim Ironman nach 14 Stunden sehen wirklich blendend dagegen aus! Die wirklich schlimm aussehenden Fälle sind zum Glück alle schon in Begleitung, als ich sie passiere. Ich komme ins Grübeln über das Wettkampfformat: sind die Halbmarathonläufer hier als indirekt als Ersthelfer unterwegs? Es ist doch von vornherein zu erwarten, dass hier mehrere der 100 Meilen Läufer Unterstützung brauchen und es sehr wahrscheinlich ist, dass ein Halbmarathonstarter deswegen sein Rennen unterbrechen muss. Vielleicht ist das ja ein Ideal in der Traillaufszene, für mich hat es einen bitteren Beigeschmack.

Lauftechnisch geht es aber auch für uns Halbmarathonis nur langsam weiter. Leider sehe ich die mühsame Strecke bis zum Horizont nicht enden. Vielleicht ist es doch besser den Teil der Strecke im Dunkeln zu absolvieren? Die Uhr zeigt schon etwas mehr als 20 Kilometer, als ich endlich auf wieder auf Asphalt lande. Jetzt kann ich das Schimpfen von Andreas an der Ziellinie nachvollziehen.

Das Laufen entlang des Hafenbeckens und durch die Stadt ist ein Genuss. Die Stimmung ist gut und da ich bis auf etwas schmerzende Beine gut drauf bin unterstütze ich das Ganze und jubele zurück, klatsche Kinderhände ab und springe fröhlich über die Ziellinie. Zwei Stunden und 14 min habe ich für die Strecke gebraucht – solange wie noch nie! Die Zeit spiegelt die Schwierigkeit der Strecke wieder, obwohl es doch vor allem bergab ging. Selbst bei der Challenge Cyprus war ich am dritten Wettkampftag schneller, und da ging die Hälfte der Strecke bergauf!

Fazit

Zeiten hin oder her: an der Organisation des Laufes gibt es nicht viel zu meckern. Die wenigen Versorgungsstationen sind ja System beim Traillaufen, lediglich die Überschneidung mit den letzten 100 Meilen Läufern finde ich etwas fraglich. Landschaftlich habe ich deutlich mehr erwartet. Ein paar nette Ecken waren dabei und das frische Frühlingsgrün ließ einen erfreuen, aber auch nicht mehr. Wenn es um das Naturerlebnis geht, landet dieser Lauf in meiner Erfahrungsliste weit hinten. Aber dafür habe ich jetzt UTMB Stones gesammelt und einen UTMB Index – man weiß ja nie, wozu man das gebrauchen kann.

 


© TriGe Sisu Berlin; 24.4.2024