von Jörg Zotzmann
Wetter: sonnig, leicht bewölkt, 12 bis 18 °C
Dieses Jahr nun wollte ich mal wieder einen großen internationalen Marathon mitlaufen, der zu den World Marathon Majors zählt. Die Wahl fiel auf London. Dieser Marathon findet üblicherweise im Frühjahr statt, was mir nicht so liegt, weil man dann die langen Läufe in der dunklen und kalten Jahreszeit absolvieren muss. Wegen der Pandemie wurde der London Marathon aber letztes und dieses Jahr auf Oktober verlegt – diese einmalige Gelegenheit musste genutzt werden. Um einen garantierten Startplatz zu bekommen, habe ich sehr frühzeitig bei einem der deutschen Reiseveranstalter gebucht, die Startplatz-Kontingente bekommen. Mit dem Anbieter hatte ich schon sehr gute Erfahrungen beim NYC Marathon gemacht.
Ein optimales Marathontraining hatte ich jedoch nicht hinbekommen. Nach dem erfolgreich verlaufenen BerlinMan hatte ich Schmerzen in der Leiste, die ziemlich hartnäckig blieben. Ich habe mich also ein paar Wochen geschont in der Hoffnung, dass meine drei schon absolvierten langen Läufe ausreichend sein würden. Primärziel war daher lediglich ein Finish (in welcher Zeit auch immer) möglichst ohne schlimme Schmerzen. Dabei wollte ich den Lauf und die Stadt genießen und natürlich auch das ein oder andere Foto machen.
Donnerstag Nachmittag war Abflug vom BER. Das Hotel war sehr zentral gleich neben dem Tower und der Towerbridge. Freitag Morgen um 7:00 Lockerungslauf mit Irina Mikitenko (die hat den Londonmarathon schon zweimal gewonnen). Temperaturen 10 bis 12 °C, leicht nebelig, unser deutsches Grüppchen ist 7 km ganz locker gelaufen mit viel geschwätzigem Erfahrungsaustausch. 10 Uhr mit den Öffentlichen zur Messe, Startnummer abholen, das Wetter war inzwischen fantastisch. Für die Startnummer musste ich nicht anstehen, das ging sehr fix.
Das Merchandising Areal war riesig. Hier wurde geshoppt, bis die Kreditkarte glüht, und entsprechend lang waren die Schlangen an den Kassen. Fressbuden gab es natürlich auch, mit ähnlich langen Schlangen. Am Nachmittag sollte es dann auf die Shard gehen, London von oben sehen, aber 35 € für eine Aussicht war mir dann doch zu happig. Ich habe dann versucht, in Kings Cross den Hogwarts Express zu kriegen, aber als Muggle bin ich durch die Backsteinwand zum Bahnsteig 9¾ nicht durchgekommen (den Versuch war es wert). Zum Glück gab es dort aber noch einen Harry Potter Shop. Dort habe ich dann eingekauft, um meine Nichten glücklich zu machen.
Den Samstag-Morgen Lockerungslauf habe ich ausfallen lassen, um meine Leiste zu schonen. Um 10 Uhr gab es dann die organisierte Stadtrundfahrt mit deutschsprachigem Guide. Die ging fast 4 Stunden (mit zwei Ausstiegen) vom Hotel aus zu vielen Sehenswürdigkeiten und am Schluss natürlich auch ins Regierungsviertel nach Westminster, alles sehr beeindruckend, nur die Downing Street nicht (eine kleine abgesperrte Seitengasse, schlecht einsehbar). In der Nähe des Buckingham Palace gab es dann noch ein paar Bambini-Läufe und am Abend habe ich mir neben dem Hotel auf dem Tower Hill noch eine Portion Fish and Chips reingezogen – gehört ja schließlich zum Pflichtprogramm.
Sonntag Morgen gab es ein ganz entspanntes Frühstück gegen 8 (meine Startzeit war erst 10:05 Uhr). Es war bewölkt mit Aufklarung bei 12 °C (steigende Tendenz), optimales Laufwetter. Auf dem Weg zu meinem Startareal in Greenwich Park mit den Öffentlichen habe ich dann schon jede Menge Deutsche getroffen und von den Wiederholungstätern ein paar Tipps zur Strecke erhalten. Es gab drei verschiedene Startpunkte, die drei Strecken haben sich dann auf der 3. Meile vereinigt. Mein rotes Startareal war einfach zu finden und sehr geräumig. Sehr viele Dixis waren aufgestellt, da gab es zwar auch sehr lange Schlangen (> 20 m), aber es ging zügig voran. Kleiderabgabe an den LKWs ging auch problemlos.
Der Start in vielen Wellen war gut organisiert und entzerrt. Der Start war mir etwas zu unspektakulär, fast ohne Zuschauer und somit kaum Stimmung auf den ersten Kilometern. Es wirkte ein bisschen, als würde man von außerhalb erst in die Stadt reinlaufen. Aber nach der Vereinigung der drei Startstrecken wurde es turbulent. Bei Kilometer 10 sind wir eine Schleife gelaufen um ein großes Segelschiff drumrum, die Cutty Sark, früher der schnellste Teetransporter, heute ein Museumsschiff. Das nächste Highlight war die Überquerung der Themse über die Tower Bridge bei Kilometer 20, einer der größten Stimmungs-Hotspots.
Danach ging es nach Osten zur Isle of Dogs und dem Canary Wharf. Dabei handelt es sich auch um ein Viertel aus Hochhäusern mit viel Beton, Stahl und Glas. In den Häuserschluchten hat mein GPS-tracking versagt und mir dann später einen völlig irrealen Kurs angezeigt. Dann ging es wieder nach Osten, den anderen Läufern entgegen bis zum Tower. Hier war dann richtig die Hölle los mit Mega-Stimmung und dem lautstarken Jubel tausender Anfeuerer bei schönstem Wetter. Nun bei Kilometer 30 wurde das Laufen etwas schwerer und schmerzhafter. Das war zu erwarten gewesen, und ich habe ganz kurz überlegt, ob ich aus gesundheitlichen Gründen abbrechen sollte. Aber die Medaille wollte ich jetzt doch unbedingt haben, koste es was es wolle.
Der Kurs ging dann an der Themse entlang durch die City of London durch. Funfact: dem Bürger der City of London ist es auch heute noch erlaubt, öffentlich ein Schwert tragen. Die Themse und die Laufstrecke bogen dann Richtung Süden ab nach Westminster. Auf der anderen Flussseite war dann das London-Eye zu sehen, das zweitgrößte Riesenrad Europas (seit wenigen Wochen steht das höchste in Moskau, ist aber derzeit nicht in Betrieb). Und dann kam auch schon der Big Ben und der Palace of Westminster, der Sitz der britischen Regierung.
Nun nur noch eine Kurve nach rechts, über den Bäumen konnte man die Turmspitzen der Westminster Abby sehen, und dann ging es auf die letzten 2 km in den St. James's Park. Dann musste ich nur noch am Buckingham Palace vorbei und wieder nach rechts auf The Mall einbiegen, die breite Prozessionsstraße mit rötlichem Untergrund, die ich auf Zwift schon so oft lang gefahren bin.
Der Zieleinlauf war nochmal ein Gänsehautmoment. Danach wurden die Medaillen, Thermofolien und Verpflegungsbeutel verteilt. Ich war sehr zufrieden, gefinisht zu haben, auch wenn es mein langsamster Marathon gewesen ist. Das Erlebnis war genial. Die Leiste hat zwar einigermaßen gut durchgehalten, aber die Füße haben sehr gelitten. Da würde ich jetzt wohl eine lange Laufpause machen müssen.
Der Marathon in dieser schönen Stadt war super und jeden Euro wert. Dies war mein erster Besuch in London (außer mal umsteigen in Heathrow) und ich bin begeistert. Die Organisation des Laufes war tadellos, die des Kurzurlaubs durch den Reiseveranstalter ebenfalls. Das Wetter und die Stimmung an der Strecke waren phantastisch, auch die Verpflegung ließ nicht zu Wünschen übrig. Aber das Finisher-Shirt – lila ist nun wirklich nicht meine Farbe!