Nach drei Jahren Abstinenz nehmen wir unsere Strategie, Frankreich mit Hilfe seiner Marathons kennenzulernen, wieder auf. Die Wahl fällt auf Lyon: ein Stadtmarathon mit einer großen Runde entlang der örtlichen Flüsse und mit etwa 2000 Teilnehmern – eine für uns angenehme Größe.
Wobei sich das mit der Größe beim Abholen der Startunterlagen etwas relativiert, denn der angebotene 10 Kilometer-Lauf und der Halbmarathon locken jeweils etwa 10.000 weitere Läufer – also doch eine Großveranstaltung. Trotzdem bekommen wir unsere Nummer schnell, außerdem gibt es für die etwa 50 Euro Startgeld noch einen Trinkrucksack, und es wird uns ein T-Shirt im Ziel versprochen. Wir bummeln noch etwas durch die Straßen der Innenstadt, wo sich Geschäfte, Restaurants und Menschen dicht and dicht tummeln – man merkt doch schnell, dass man in der drittgrößten Stadt Frankreichs ist.
Der Start von Halb- und Marathon ist auf 8:30 Uhr terminiert, und da nach einigen Tagen Regen auch an diesem Tag der Sommer nach Lyon zurückkehrt, ist dies perfekt. Bei ca. 12 Grad geht es los, gegen Mittag werden es bei strahlendem Sonnenschein über 20 Grad sein. Wir geben unseren Kleiderbeutel im Zielbereich ab, stellen uns an den WCs an (wie immer gibt es gefühlt viel zu wenige) und bewegen uns dann trabend zum Start – der etwa einen halben Kilometer vom Zielbereich entfernt ist.
Marathonis werden vorn im Feld platziert. An sich eine gute Idee, doch stehen so die Marathonläufer mit vier Stunden Zielzeit neben den Halbmarathonis, die eine 1:35 h anpeilen. Diese Logik erschließt sich mir nicht. Wir starten jedenfalls in diesem Startblock. Ich bin diesmal als Tempomacher für meinen Mann unterwegs, da eine Entzündung im Fuß mich im Training ausgebremst hat und ich froh bin, dass ich zum heutigen Tage überhaupt wieder schmerzfrei laufen kann.
Die Stimmung am Start ist gut. Es erfolgt ein gestaffelter Start, d.h. alle 2 Minuten wird ein Block losgeschickt. So ist das Feld gleich entspannt und man kann sein Tempo aufnehmen. Es geht zuerst acht Kilometer am Ufer der Saône entlang, relativ entspannt – es sei denn, von hinten kommt eine Gruppe der Halbmarathonläufer mit höherem Tempo. Über eine Brücke geht es dann auf der anderen Uferseite wieder zurück in die Stadt – herrliche Blicke aufs Wasser und auf dominante Gebäude am Ufer.
Zurück im Zentrum steigt die Stimmung merklich, hier sind viele jubelnde Zuschauer, vorbei an Rathaus und Oper und über die Brücke der Rhône. Hier am Ufer wird die Strecke fortgesetzt. Die Halbmarathonläufer biegen Richtung Ziel ab. Ich bin froh darüber, denn man musste sich schon ganz schön konzentrieren, nicht zu schnell mitzulaufen. Alsbald geht es durch einen herrlichen Park. Ein großer Teich, herbstbunte Bäume, ein imposantes vergoldetes Tor und recht viele Läufer um uns herum. Der Halbmarathon ist in guten zwei Stunden absolviert, mein Mann ist gut dabei – ja ich muss ihn sogar ausbremsen, nachdem ich sein Empfinden erfragt habe.
Nach ein paar öden Metern entlang einer Straßenbahnstrecke geht es wieder entlang der Rhône zurück. Ein paar Zuschauer feuern an, andere sitzen stumm rum. Einige von denen feuere ich mit einem „allez-allez“ an und dann jubeln sie begeistert zurück. Die 33 Kilometermarke ist passiert, und ich verliere meinen Mann aus dem Schlepptau – er kann das Tempo nicht mehr halten. Ich krame das ganze Repertoire an Motivationssprüchen und Ablenkungsstrategien heraus, doch bei der nächsten Versorgungsstation will er gar nicht mehr, obwohl es hier gerade mitten durch ein Stadion geht, was ich witzig finde.
Zu unserem Glück sind uns herum alle am kämpfen und eigentlich auch am Gehen, so dass ich meinen Mann immer wieder mit Vergleichen aufbauen kann und er, wenn auch langsam, im Laufschritt bleibt. Ich hoffe auf mehr Stimmung durch Zuschauer Richtung Ziel, aber sie bleibt aus. Noch schlimmer: meine Uhr zeigt schon den absolvierten Marathon, lange bevor wir auf die Zielgerade abbiegen. Erst dort wird es wieder trubelig, weil die 10 Kilometer-Läufer zeitgleich ins Ziel laufen.
Ich fordere meinen Mann auf, Hand in Hand ins Ziel zu laufen, er weigert sich fast. Ich frage ihn später, ob er mich denn während des Laufs sehr gehasst hat. Es kommt eins klares "Ja". Aber es stehen 4:12 h auf der Uhr, der 6er Schnitt ist auch offiziell knapp geschafft, obwohl die Strecke eigentlich einen halben Kilometer länger war. Heutiges Minimalziel waren 4:21 h – das ist nämlich die weltweite Durchschnittszeit für einen Marathon. Jetzt kann mein Mann behaupten, ein überdurchschnittlich guter Marathonläufer zu sein! Herzlichen Glückwunsch.
Ich selbst bin etwas wehmütig, heute nicht im Wettkampfmodus gewesen zu sein – doch der Fuß scheint wieder heil zu sein, und das ist das Wichtigste. Wer gerne Stadtmarathons mag, dem kann ich diesen Lauf gut empfehlen. Gut organisiert und schöne Strecke. Gerade auf dem ersten Teil geht es leicht hoch und runter, aber so dass man es gut laufen kann. Enge Kurven und scharfe Ecken gibt es so gut wie gar keine. An unebenes Pflaster kann ich mich gar nicht erinnern, auf kurzen Passagen muss man auf Straßenbahnschienen achten.
Lediglich im Zielbereich merkt man, dass es sich um eine Großveranstaltung handelt: ich brauche fast 20 Minuten, um etwas zu trinken besorgen. Aber selbst ich, als Fan kleinerer Wettkämpfe, kann das in Kauf nehmen. Und natürlich kann man es sich nach dem Lauf richtig gut gehen lassen – wir schlemmen jedenfalls wie "Gott in Frankreich"!