Nach der mittlerweile traditionellen (Rennrad-)Fernfahrt Hamburg-Berlin am Wochenende zuvor haben sich vier Sisus (Carl, Stuart, Ingo und ich) aufgemacht, den Oder-Spree-Kanal in ganzer Länge abzufahren. Das hatte ich schon lange Zeit im Hinterkopf, und jetzt schien der Zeitpunkt günstig zu sein: Das letzte Wochenende mit Sommerzeit stand an, dazu goldenes Herbstwetter und kaum Wind und wenn doch, dann aus günstiger Richtung. Das ganze würde nebenbei die Offroad-Saison einläuten, weil dies die einzige Möglichkeit ist, immer so nah wie möglich am Kanal zu fahren.
Also plante ich die Route in Komoot sozusagen von der Quelle in Eisenhüttenstadt (wo der Kanal seine Verbindung zur Oder hat), vorbei an Fürstenwalde (wo der Kanal für eine Weile in die Spree übergeht), vorbei am Seddinsee (wo der Kanal endet) bis nach Hause. Das wären immerhin gut 120 km (für Ingo etwas kürzer), größtenteils Waldwege, wenig Asphalt, kleinere Pfade und dazu ein paar unbekannte Trails. Klingt nach Gravel im besten Sinn, entsprechend waren wir mit Crossrad, Gravelrad, ungefedertem MTB und Hardtail unterwegs. Ich muss schon sagen, dass ich einigen Respekt vor der Strecke hatte, denn so weit war ich per MTB noch nie gefahren.
Morgens um halb acht machten sich Stuart und ich noch in der Dämmerung auf zum Bahnhof Zoo – mit Licht an den Rädern. Carl würde dort schon im Zug sitzen, Ingo am Hauptbahnhof zusteigen – wenn der Zug führe, ja wenn. Der Baufahrplan der DB für den RE1 ist derzeit kompliziert und lang, aber ausgerechnet unser Zug sollte planmäßig bis Franfurt/Oder fahren. Also am Hardenbergplatz noch schnell den Bäcker aufgesucht und mit der Ware vorbei an den erschreckend vielen Obdachlosen auf den Bahnsteig.
Alle unsere Zweifel waren unangebracht: Der Zug kam und fuhr komplett pünktlich, und am Sonntag früh gab es auch genug Platz überall. In Frankfurt wechselten wir das Gleis und stiegen in die Regionalbahn in Richtung Cottbus, die wir in Eisenhüttenstadt verließen. So ging es um 10 Uhr auf die Strecke. Der dichte Nebel, den wir auf den Feldern neben der Bahnstrecke bewundert hatten, verzog sich und machte reinem Sonnenschein Platz. Wir würden mit Pausen die Zeit bis zur Abenddämmerung komplett brauchen bei einem 20er Schnitt, so der Plan.
Vom Bahnhof Eisenhüttensadt ging es aber zuerst einmal über die schnurgerade und super asphaltierte Zubringerstraße nach Norden, vorbei am Industriegelände mit dem Stahlwerk, dem ehemaligen sozialistischen Eisen-Hütten-Kombinat, für dessen Mitarbeiter und Familien die Stadt einst angelegt worden ist. Dem Eindruck nach liegen Baudenkmäler neben modernen Industrieanlagen, das ist sicherlich eine Besichtigung wert. Schon seit dem Bahnhof verlief der Kanal unweit unserer Strecke. Nördlich des Stahlwerks ging es dann ins Gelände und direkt zum Kanal.
War bisher schon wenig los am Sonntagmorgen, hatten wir ab jetzt die Welt für uns allein. Bei morgendlicher Feuchte und goldenen Blättern lag der Kanal bei Windstille spiegelblank vor uns. Um in seiner Nähe oder am besten direkt dran zu bleiben, muss man teils kleine Pfade, hin und wieder die Wiese auf der Deichkrone befahren und hin und wieder an günstiger Stelle die Seite wechseln. Die Strecke ist zwar komplett flach, dafür aber ein bunter Mix aus unterschiedlichsten Untergründen.
Zwei großen Schleusenanlagen gibt es unterwegs: die Kersdorfer Schleuse östlich von Fürstenwalde und die Wernsdorfer Schleuse westlich davon. Der Kanal selbst hat praktisch kein Gefälle und auch keine Strömung. Von Müllrose haben wir auf unserer Nebenroute nichts mitbekommen. Nach der Kersdorfer Schleuse geht es auf einer asphaltierten Radler-Autobahn durch den Wald, doch statt der Straßenverbindung nach Fürstenwalde blieben wir südlich der Autobahn auf einem Pfad, den es offenbar nur gibt, weil ein paar Mountainbiker meinen, dass da einer hingehört. Aber Komoot kannte ihn. Klarer Vorteil MTB in diesem Fall.
Ausgerechnet auf diesem Abschnitt verabschiedete sich der Klemmteil eines Pedals. Immerhin fielen keine Kleinteile ins dichte Laub. Bei genauerem Hinsehen fanden wir einen winzigen Innensechskant-Ansatz, so dass wir das Problem beheben konnten. Das war kurz vor Halbzeit, so dass wir uns in die Fürstenwalder Innenstadt begaben auf der Suche nach einer Nahrungsquelle.
Die Bereiche der Innenstadt um den Dom waren völlig ausgestorben, alles dicht. Ein Dönerladen hatte offen, doch das schien uns nicht so schlau zu sein. Schließlich fanden wir ein sehr hübsches Café, das tatsächlich offen hatte. Bei Cafe Latte und schönem Kuchen konnten wir uns erholen und machten uns schließlich auf den weiteren Weg. Die lange Fahrzeit machte sich mittlerweile bemerkbar.
Über die Fürstenwalder Altstadtbrücke wechselten wir wiederum das Ufer und fuhren linksseits bis Spreenhagen, ab da nach einem weiteren Seitenwechsel bis zur Wernrsdorfer Schleuse, diese ganze Strecke auf einem ganz angenehmen Fahrweg ohne weitere Geländeeinlagen. Kurz darauf passierten wir die "Mündung" des Kanals in den Seddinsee. Damit war das primäre Ziel erreicht, allerdings ist die Strecke bis nach Hause auch von dort noch recht weit, wenn man bereits ein wenig ausgelaugt ist.
Durch Wald und über Felder ging es noch am neuen Flughafen vorbei. In Lichtenrade setzten wir Ingo ab. Carl machte sich auf Richtung Düppel, Stuart und ich zurück nach Friedenau. Da wir keine Lust auf unnötige Gravelpfade mehr hatten, nahmen wir die direkte Strecke und sparten so ein paar Kilometer, trotzdem fuhren wir am Ende wieder mit Licht. Nach knapp 6 Stunden reiner Fahrzeit waren auch wir wieder daheim, der Schnitt lag schließlich bei knapp 21 km/h.
Was haben wir gelernt? Lange Hosen sind nicht nur gut gegen kalten Wind, sondern auch gegen Brennesseln. Die Crosser fanden 95 % der Strecke gut und nur 5 % sch..., die allerdings richtig sch..., das gleicht sich glatt aus. Insgesamt war es ein wunderschöner goldener Herbsttag bei optimalem Wetter mit Gleichgesinnten, was will man mehr. Und vielleicht haben wir eine Tradition begründet, wer weiß?