Challenge Roth 6.7.2024

von Denise Kottwitz; Fotos: Denise, Micha, Matthias

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“Herzlichen Glückwunsch, Deine Registrierung für einen Startplatz bei der Challenge Roth war erfolgreich!” Die erste Hürde ist mit vereinten Sisu-Kräften geschafft! Mit mehreren Freunden und Sisus versuche ich mein Glück bei der Online-Registrierung und Max zeigt mal wieder, dass ihm Geschwindigkeit wohl in die Wiege gelegt ist - denn er kommt als Erstes durch die Anmeldung.

Nun werde auch ich beim legendären Rennen in Roth starten. Ich kenne bisher den Wettkampf nur aus dem Fernsehen und von vielen schwärmenden Erlebnisberichten. Einen kleinen Vorgeschmack hole ich mir über die Maifeiertage, als ich ein kleines Trainingslager vor Ort einlege. Hier bekomme ich schon eine Idee, was für ein Triathlon-Irrsinn mich da im Frankenland erwartet. Im Rother Freibad sind fast nur Neoträger unterwegs und auf der Radstrecke ist mehr los als bei so manchem heimischen Triathlonwettkampf. Egal ob Vermieter oder Kellnerin, mit jedem kann man sich über Triathlon unterhalten – nur dass ICH dort an den Start gehen werde, wird mir meist nicht abgenommen.

Warm-up mit langen Fußwegen

Zum Rennen reisen wir erst am Freitag an, da ich dem ganzen Trubel so viel wie möglich entgehen möchte. Zum Abholen der Unterlagen geht es am frühen Abend, während alle mit Fußballschauen beschäftigt sind. Wir parken am Zentralparkplatz Belmbrach, der in diesem Jahr das erste Mal zur Verfügung steht. Die versprochenen neun Minuten Fußweg zum Stadion erweisen sich als sportlich, wir sind eher 25 min unterwegs. Dafür erhalte ich aber sehr schnell die Unterlagen. Wir schlendern eine Runde durch die Messe, überraschend treffe ich Stephan Schepe an seinem Stand. Dann ergibt es sich, kurz mit Frank Wechsel von Tri-Mag über den Laponia Triahtlon zu plaudern.

Im Anschluss fahren wir zum Italiener nach Schwannstetten, wo Micha N. schon seit 20 Jahren alle zum Abendessen zusammentrommelt. Am Tisch sind neben mir drei weitere Starter: Matthias ist als ehemaliger Sisu und erfahrener Roth-Starter dabei. Für Klaus und Christian (ein langjähriger Trainingspartner aus meiner Zeit beim TriTeam) wird es die erste Langdistanz.

Am Samstag geht jeder seiner eigenen Wege. Die Supporter-Crew dreht eine Runde auf der Radstrecke und ich treffe witzigerweise Reiner und Christopher beim Weg zur Radabgabe. Ich jubele aus dem Auto raus – am Renntag werden die beiden dann zurück jubeln.

Rad Check-in: „Trinkflaschenöffnung in Fahrtrichtung!“

Beim Check-in stelle ich mich erst brav in die lange Schlange – werde dann aber von einem anderen Athleten mit zu einem weiteren Eingang geschleust und bin so schnell dran. Da lauert eine Überraschung: Flaschenhalter auf dem Lenker müssen so angebaut werden, dass die Flasche mit der Öffnung in Fahrtrichtung zeigt. Dank Klettverschluss-System drehe ich meine Halterung schnell anders herum, mit dem Ziel erstmal den Check-in hinter mich zu bringen. Prompt lande ich einer Diskussion mit einem Wettkampfrichter, dass ich so doch unmöglich während der Fahrt eine Flasche hineinbekomme. Da hat er recht, aber ich kläre ihn auf, dass da ein Trinksystem reinkommt und ich gar nicht vorhabe, die Flasche rauszunehmen.

So kann ich passieren und frage später noch einmal nach der Regel: Es ist egal wie die Flasche drin, Hauptsache sie ragt nicht über den Lenker hinaus, sprich man kann frei lenken. Da bin ich beruhigt, das ist beim mir nicht der Fall. Als ich nach dem Rennen einige Bilder der Profis sehe, komme ich jedoch wieder ins Grübeln, ob ich die Regelung richtig verstanden habe. Auf jeden Fall war so der Check-in schnell erledigt. Auf dem Heimweg ziehen fiese Gewitter auf und bringen dem bis dato recht schwülen Tag etwas Abkühlung.

Apropos Wetter. Als ich die Challenge Roth für 2024 ins Auge fasste, hatte ich die Bauernregel „Schaltjahr ist Kaltjahr“ im Hinterkopf und somit die kleine Chance, dass es kein Hitzerennen wird. Die Regel sollte recht behalten, für den Renntag waren mit morgendlichen frischen 15 Grad, aber tagsüber maximal 24 Grad zurechnen – bei sehr bewölktem Himmel. Regen sollte auch keiner kommen, wobei der Blick aufs Regenradar am Rennmorgen zeigt, dass Roth nahe an der feuchten Wetterfront Richtung Süden liegt.

Früh, früher am frühesten...

Zur Anreise am Rennmorgen warnen mich alle vor langen Rückstaus vor den Parkplätzen. Der Veranstalter empfiehlt Athleten, um 4.50 Uhr vor Ort sein. Wir fahren exakt um 4.50 Uhr auf den Parkplatz, viel zu früh, aber Pünktlichkeit ist das halbe Leben - hat mal jemand gesagt. Auf dem Platz stehen vielleicht 50 Autos, von Stau war keine Rede. Da es noch ziemlich dunkel draußen ist und mein Start erst in drei (!) Stunden sein wird, verbringen wir noch etwas Zeit im Auto und schlendern dann zur Wechselzone. Kurz vor sechs verabschiede ich mich von Andreas, der plant, auf die andere Uferseite zu gehen.

Ich schaue kurz bei meinem Rad vorbei und gebe schnell meinen Radwechselbeutel ab, denn das muss bis 6.15 Uhr erledigt sein. Christian und Klaus kann ich nicht ausfindig machen, aber Matthias laufe ich über den Weg und habe so noch etwas Unterhaltung bis zum Start. Als ich meinen Neo anziehe, kommen die männlichen Profis aus dem Wasser und ich höre von Patrick Langes Verletzung. Sind nicht unbedingt Nachrichten, die man vor dem Start braucht.

Slalom-Schwimmen, die neue Trendsportart

Während es in den Vorjahren noch Frauenstartgruppen gab, wurden diese nun nach angegebener Zielzeit ins Gesamtfeld eingeordnet. Ich lande daher in Startgruppe 14, was für ein schnelles Schwimmen nicht ideal ist. Fünf Minuten vor dem Start darf man ins Wasser, das reicht gerade mal für ein paar wenige Armzüge zum Aufwärmen. Ich ordne mich an der Kanalmitte ein, wo sich gerade mal drei Leute direkt an die Leine getrauen. Zur Uferseite sind es auch nicht viel mehr. Der Start wird klar mit Fahne und Fingerzeig angekündigt, und nach dem Schuss geht es sofort in hohem Tempo in einer kleinen Gruppe los.

Meine Befürchtungen, keinen Wasserschatten zu finden, waren unberechtigt. Ich freue mich gerade über die komfortable Situation, da schwimmen wir recht schnell auf die letzten Schwimmer der vorherigen Startgruppe auf. Das sind leider nicht wenige und unsere Gruppe spaltet sich auf. Das ist allerdings das geringste Problem. Die Schwimmer, die ich passieren muss, schwimmen kreuz und quer und hauen wild um sich. Ich muss sofort an Patrick Lange denken und versuche größtmöglichen Abstand zu halten, bekomme dennoch ein paar Tritte und Schläge ab.

Die Orientierung nach vorn muss ab nun an häufiger folgen, um zu schauen, wo man frei schwimmen kann. Das ist allerdings recht schwierig, da die Geschwindigkeiten der Schwimmer immer unterschiedlicher werden. Mal bin ich mit einem Zug an jemand vorbei, mal brauche ich fünf. Dennoch ist die Brücke mit der Wende überraschend schnell erreicht. Hier muss ich allerdings komplett stoppen: vor mir schwimmen alle dicht an dicht nebeneinander. Kein Durchkommen. Ärgern hilft aber auch nicht, also geduldig um die Boje hinterher gepaddelt und dann möglichst in der Kanalmitte weiter, weil da mehr Platz ist. Ein paar Passagen kann ich recht frei schwimmen und komme mit dem Slalomschwimmen immer mehr zurecht. Eigentlich macht es sogar Spaß, sich ständig entscheiden zu müssen, ob ich rechts oder links vorbei schwimme. Den ein oder anderen Schlag und Tritt bekomme ich dennoch ab.

In der Masse kann mich Christopher vom Ufer aus tatsächlich ausmachen, nach jahrelangem Training auf einer Schwimmbahn habe ich auch nichts anderes erwartet. Von außen betrachtet soll ich wohl mit beeindruckender Geschwindigkeit durch das Feld gekämpft haben. Auf den letzten Metern wird es noch voller, beziehungsweise sind hier viele Schwimmer unterwegs, die nur einen Tick langsamer unterwegs sind und ich somit zum Überholen länger brauche. Beim Schwimmausstieg nehme ich die hintere Treppe, weil es dort leerer ist und komme so problemlos wieder an Land. Ich sehe auf der Uhr, dass ich 1h04 gebraucht habe. Wie viel Einfluss darauf die Überholvorgänge hatten, kann ich nicht einschätzen. Eins steht aber fest: Das hoch gelobte „einfache“ Schwimmen in Roth habe ich nicht erlebt. Ich würde es tatsächlich als eines der kompliziertesten meiner Triathlonkarriere einordnen.

Wechselzelt 1 – Du bist nicht allein!

Nach dem Wasserausstieg weist mir ein Helfer den richtigen Weg zu meinem Wechselbeutel, mit dem ich dann ins Wechselzelt laufe. Hier geht es zu wie in einem Taubenschlag! Viele Athleten und doppelt so viele Helfer. Die Fernsehbilder zeigen hier immer ein schönes leeres Zelt. Ich erspähe einen freien Platz, mir wird sofort der Beutel aus der Hand gerissen und ausgekippt und sobald ich sitze, am Neo gezerrt. Als der Neo ausgezogen ist, werde ich allein gelassen. Ich bin mir unsicher, ob der Helfer wirklich eine Unterstützung für mich war. Mich hat es eher gestresst, die Kontrolle über meinen Wechselvorgang abgeben zu müssen.

Ich trockne mich an den Armen gut ab, damit ich die Ärmlinge richtig übergestreift bekomme. Rein in Socken und Schuhe und auf dem Weg zum Rad das Outfit noch mit Startnummer und Sonnenbrille komplettiert. Das Rad schaffe ich auf dem direkten Weg anzusteuern, was ja in dieser riesigen – aber vor allem ungleichmäßig angeordneten – Wechselzone nicht selbstverständlich ist. Aufstieg aufs Rad gelingt den Leuten um mich rum und somit auch mir problemlos. Erst jetzt stelle ich fest, dass es regnet.

Rauf aufs Rad – und es regnet doch!

Los geht es über die mit Zuschauern vollbesetzte Brücke, wo ich weiter hinten meinen Namen höre. Die Sisus sind in vollem Einsatz da und schicken mich mit fettem Applaus und lauten Rufen auf die Strecke. Da ich im Training die Runde fast viermal vollständig abgefahren bin, weiß ich ziemlich genau, was mich erwartet. Allerdings war ich im Training deutlich langsamer unterwegs, sodass ich doch überrascht bin, wie schnell ich die markanten Wegpunkte passiere. Zwischen den Ortschaften sieht man nur einzelne Zuschauer, innerhalb der Dörfer wird es schon mal lauter. In Heideck werde ich auf Berlinerisch begrüßt, was mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Klingt furchtbar, obwohl es der Moderator bestimmt lieb gemeint hat.

Die Radstrecke ist voll, aber man kann noch im geforderten Abstand fahren, wenn man will. Ich sehe auch niemanden, der bewusst unfair fährt, obwohl ich einige Ermahnungen der Kampfrichter beobachten kann. Tatsächlich gibt es viele Kampfrichter, mich passiert alle paar Minuten ein Motorrad und das wird bis zum Ende so bleiben.

Auf der ersten Teilstrecke tröpfelt es leicht, allerdings ist die Straße schon richtig nass und ich lasse etwas Vorsicht walten. Kurz vor Greding wird es trocken und für mich geht es optimistisch in den Kalvarienberg. Hier werde ich positiv überrascht: im Training war der untere Teil der Straße gesperrt und ich musste mitten im 10% Anstieg einsteigen. Jetzt kann ich mit Schwung von unten hineinfahren und schwupp ist der steile Teil schon fast passiert. Dann muss man etwas aufpassen, da es sich ziemlich staut und bei dem langsamen Tempo nicht unbedingt geradeaus fahren garantiert ist. Ich höre in einer Ansage, dass Magnus Ditlev führt und Patrick Lange ausgestiegen ist. Im weiteren Anstieg liegt eine Versorgungsstation, ich schnappe mir ein Wasser und fülle mein Trinksystem nach und somit ist auch schon ein großer Teil des folgenden langgezogenen Anstiegs geschafft.

Oben angekommen fängt es richtig an zu regnen. Na toll, genau vor der Abfahrt bei Obermässing, die für mich Angsthasen schon im trockenen Zustand eine Herausforderung ist. Um das Unbehagen noch etwas zu schüren, überhole ich genau hier Chris Nikic mit seinem Spezialfahrrad und extrem laut quietschenden Bremsen. In der Abfahrt merke ich aber, dass ich die Bedingungen besser meistere als die meisten um mich herum. In strömenden Regen geht es weiter und da überholt mich Klaus. Nach dieser Abwechslung konzentriere ich mich wieder auf Tacho, Futtern und Trinken. Allerdings macht sich die Kälte bemerkbar, ich fröstele etwas und ich verspüre immer mehr Druck nach einer Pinkelpause. Dank meiner Streckenkenntnis finde ich einen geeigneten Platz kurz bevor die Streckenhöhepunkte bevorstehen.

Und dann wird es warm…

Entspannt rollt es sich weiter Richtung Kränzleinsberg, der Regen verabschiedet sich an dieser Stelle für den Rest des Tages. Unten am Berg ist es noch recht ruhig, aber oben werden es immer mehr Leute und ich weiß, dass hier die Sisus auf mich warten. Laut und lauter rufen und jubeln sie mich über die Kuppe des Berges. Ich entdecke auch noch Dirk H., was für eine Überraschung – mit ihm habe ich gar nicht gerechnet. Natürlich hätte mich viel mehr gefreut, wenn er seinen Fuß endlich genesen hätte und somit mit auf der Strecke gewesen wäre.

Mit Schwung geht es runter nach Hilpoltstein um dann auf die Straße des Solarer Berges einzubiegen. Auf wenn ich die Bilder hunderte Male im Fernsehen gesehen habe, entweicht mir doch ein kleines „wow“ über die Menschenmasse, die da wartet. Als die Absperrgitter aufhören und ich in die Menschen eintauche, habe ich ein ganz besonderes Erlebnis. Es ist richtig schön warm hier, mindestens zehn Grad mehr als auf der noch feuchten Straße. Solarer Berg heizt ein, heute tatsächlich auch physisch! Recht weit oben höre ich meinen Namen und erkenne Susi (Christians Frau), die in der Menge ordentlich mitjubelt und klatscht.

Recht kurzweilig endet die erste Runde, ich passiere die Wechselzone erfreut, dass sich der Regen nun wirklich gelegt hat. Allerdings muss ich schon wieder pinkeln. Etwas aushalten muss ich noch bzw. bin auch gezwungen, da ich beobachte, dass die Dixis an den Versorgungstationen schon besetzt sind. Kurz nach Thalmässing finde ich einen geeigneten Platz, was muss das muss.

Kurzer Zweikampf mit Magnus Ditlev

Richtung Greding geht es eine kleine Anhöhe rauf und ich frage mich gerade, ob ich den Aerolenker zu früh verlassen habe. Da kommt Magnus Ditlev vorbeigeflogen, im Oberlenker und Wiegetritt! Andreas scherzt später über mich: „Na, der wird sich das bei Dir abgeguckt haben“. Mein dramatischer Zweikampf mit Ditlev schafft es übrigens direkt in die Liveübertragung ins Fernsehen.

Den Anstieg in Greding nehme ich wieder möglichst entspannt und plaudere kurz mit der Athletin neben mir über ihr lustiges, sternchen-bedrucktes Outfit. Sie beklagt eiskalte Füße. Da habe ich ja Glück, ich empfinde mein Outfit als passend gewählt – nicht zu kalt und nicht zu warm. Die Abfahrt bei Obermässing passiere ich auf trockener Straße deutlich entspannter als in der ersten Runde. Überhaupt verläuft die zweite Runde deutlich angenehmer aufgrund des trockeneren Wetters. Jetzt registriere ich auch die Zeitnahmestationen, rolle mit einem Lächeln rüber und sage mir „das ist für Euch“ – mit dem Wissen, dass sehr viele Freunde zu Hause am Tracker sitzen und mitfiebern.

Am Kränzleinberg jubelt mir jemand mit Megafone entgegen, ich lächele zurück. Darauf ruft er: „Wer lacht, der hat noch Reserven“. Ich muss nun wirklich richtig lachen, denn das mit den Reserven sollte zu diesem Rennzeitpunkt auf jeden Fall noch zutreffen. Am Solarer Berg ist etwas weniger los als in der letzten Runde, aber man wird trotzdem nach oben getragen.

Die letzten Kilometer zur Wechselzone verlaufen völlig problemlos. Ich realisiere das wirklich erst kurz vor Roth. So gut ging es mir nach 180 Radkilometern noch nie. Ich rechne damit, dass ich doch etwas über sechs Stunden unterwegs bin – dann erreiche ich die Wechselzone mit 5h55 schneller als gedacht.

Wechselzelt 2 – Warum so viele Socken?

Ich ziehe auf dem Rad noch schnell die Schuhe aus und rolle an die Absteigelinie ran, wo jemand mein Fahrrad festhält und später mitnimmt. Er sagt: „Du schaffst das!“. Auf dem Weg zum Wechselzelt grübele ich darüber, was er gemeint hat – das Absteigen oder den Wettkampf allgemein. Ich bekomme meinen Beutel, im Wechselzelt ist es noch chaotischer als im Ersten. Meine Helferin wundert sich, warum ich noch zwei Paar Socken im Wechselbeutel habe, wo ich doch schon welche trage! Ich kläre auf, dass ich in der Euphorie beim letzten Wettkampf meine Socken zerrissen habe und auf Nummer sicher gehen will. Außerdem habe ich mich diesmal entschieden, mich fast komplett umzuziehen. Das dauert nur wenige Sekunden, aber die frische Kleidung ist eine echte Wohltat.

Entspannt loslaufen ist heute nicht

Beim Loslaufen merke ich, dass ich doch nicht mehr so gut drauf bin, wie es sich auf den letzten Radkilometern anfühlte. Die Muskulatur im Hintern ist total verspannt und es schmerzt bis in den Rücken rein. Ich versuche bewusst langsam zu laufen, aber es geht steil bergab. Ich rede mir fest ein, dass sich die Verspannung schon rauslaufen wird. Und tatsächlich wird es Schritt um Schritt besser und bevor ich am Kanal ankomme, sind die Schmerzen weg… um nahtlos in ein ungutes Drücken in der Magengegend überzugehen. Nun heißt es aber erstmal gute Miene zum bösen Spiel zu machen, denn alle Sisus und auch Andreas und Susi empfangen mich lauthals an der Lände. Das mit dem optimistischen Lächeln habe ich wohl gut hinbekommen, denn selbst mein Mann hat nicht gemerkt, dass es mir in diesem Moment gar nicht so gut ging.

Dennoch nehme ich an der Versorgungsstation ein Gel und freue mich, dass es den Druck in der Magengegend nicht verschlechtert. Besser wird es aber auch nicht. Also Dixi bei Kilometer sieben, hier muss ich einfach nur pinkeln und dann ist alles schick. Na ja, alles schick ist vielleicht etwas übertrieben. Ich merke die Oberschenkel schon ordentlich, aber immerhin finde ich ein angenehmes Lauftempo und passiere so den ersten Teil der Kanalwendepunktstrecke.

Startschwierigkeiten des Marathons sind überwunden

Auf den zweiten, längeren Teil schickt mich wieder lauthals mein Fanklub. Ich berichte Andreas, dass ich etwas Startschwierigkeiten hatte, es jetzt aber läuft. Er kommentiert das mit einem Lachen, da die meisten um mich rum schon ordentlich am Kämpfen sind.

Ich habe übrigens keinen Schimmer, wie viele Laufkilometer ich schon geschafft habe. Da stehen zwar die Schilder und ich könnte es auf der Uhr sehen, aber mein Kopf ignoriert diese Zahl völlig. Ich habe nur die Streckenführung im Kopf und etwas Blick auf die Zeit, um rechtzeitig Energie nachzuschieben. Mir kommt Klaus entgegen, der hat sieht auch noch richtig gut aus – scheint sich aber über meinen fröhlichen Gruß zu freuen. Christian sehe ich überhaupt nicht, obwohl wir uns mehrmals begegnen müssten.

Der lange Teil des Weges am Kanal soll sehr zermürbend sein und daher lege ich mir schlechte Lauferlebnisse zurecht: eingekeilt von wilden Hunden, Laufbänder in stinkenden Fitnessstudios, Minirunden auf dem Grundstück als man während Corona das Ferienhaus auf La Palma nicht verlassen konnte… Ach wie herrlich ist es hier einfach ungestört kilometerlang an einem Kanal langzulaufen. Tatsächlich brauche ich diese Bilder aber nicht, denn ich empfinde die Strecke gar nicht als endlos. Allerdings werde ich zunehmend genervt von der Masse an Leuten! Es sind definitiv zu viele hier unterwegs und auf dem Rückweg kommen mir irre viele Staffelläufer entgegen. Da habe ich mir vorher so viele Gedanken gemacht, über Menschenmassen bei der Anreise, bei der Registrierung, beim Schwimmen oder Radfahren – aber dass mich das beim Laufen stören könnte, damit habe ich mit keiner Silbe gerechnet.

Versorgung ist das Wichtigste

Ganz schlimm finde ich es in den Versorgungsstationen, die zunehmend chaotischer werden. Besonders motivierte Helfer und Kinder bieten einem Wasser, Cola, Iso an und brüllen laut durcheinander. Nichts von der versprochenen Reihenfolge, dass die Stationen immer gleich aufgebaut sind. Auch tragen nur einige Helfer die Westen, die klar symbolisieren, was ausgeschenkt wird. Eigentlich ist der enorme Helferehrgeiz total niedlich, aber ich muss immer anhalten und noch mal nachfragen, um das Wunschgetränk zu erhalten. Zu den Gelen muss man sich durchkämpfen, aber das habe ich recht bald kapiert und stecke immer zwei auf Vorrat für den nächsten Energieschub ein.

Zurück an der Lände habe ich das Gefühl, zu wenig getrunken zu haben. Ich grübele darüber nach, da reißt mich Matthias aus den Gedanken, der nun den langen Kanten noch vor sich hat. Ich konzentriere mich in der Versorgungsstation, die Becher wirklich komplett auszutrinken. Das wird durch ein Mikro kommentiert: „Ja, Denise, trink erst mal richtig“. Daraufhin höre ich ein lautes Jubeln, denn ein paar Meter stehen noch mal die Sisus. So geht es zurück Richtung Roth und einen Kilometer weiter stehen plötzlich Micha, Christopher und Dirk schon wieder jubelnd da. Was für eine Überraschung.

Weiter geht es eine kleine Wendepunktstrecke durch den Wald. Hier merke ich, dass ich doch besser hätte die Lage der Versorgungsstation studieren sollen. Ich hatte einfach auf “alle 1,3 km“ vertraut, die zwar im Durchschnitt, aber nicht direkt gepasst haben. So kommt es, dass ich teilweise etwas Zeit verliere, um reichlich zu trinken – dann aber so schnell schon wieder an einer Versorgungsstation bin und nichts mehr reinkriege. Aber ich will mal in Anbetracht der ersten Laufkilometer mit drückendem Magen nicht meckern, schließlich nimmt mein Körper noch problemlos Gele, Iso und Wasser auf. Auch bleibe ich stabil bei meinem Lauftempo. Im Zentrum von Roth registriere ich nicht so richtig, was los ist, da ich doch den Blick nach unten aufs Kopfsteinpflaster werfe. Susi holt mich mit ihren Anfeuerungen kurz aus meinem Trott.

Mit einem Lächeln nach Büchenbach

Auf dem weiteren Weg lächele ich ab und zu den Applaudierenden zu. Dies wird ausnahmslos freudig kommentiert. Vermutlich schaffen es hier nicht mehr viele, ein Lächeln aufzusetzen. Ich muss sofort an Micha V. denken: „Ich fahre nach Roth, um fröhliche Menschen wie Dich, Denise, auf der Strecke zu sehen und nicht die verbissenen, in sich gekehrten Typen“. Ich würde gern den Leuten noch mehr Fröhlichkeit schenken, zumal das auch in meinem Körper zu etwas Entspannung führt - allerdings macht das einen trockenen Mund, und damit habe ich schon eine Weile zu kämpfen.

Bei der Versorgungsstation auf dem Weg nach Büchenbach will ich die letzten Kilometer mit Koffein unterstützen, leider sind alle Koffeingele weg. Ha, da hatte wohl jemand die gleiche Idee wie ich! Dann halt später. Ich begebe mich ambitioniert auf die weitere Strecke: Ich will den Anstieg nach Büchenbach unbedingt durchlaufen, Tempo ist egal. Ich schaffe es umzusetzen, bin allerdings etwas enttäuscht, dass es in diesem harten Teil der Strecke kaum Zuschauer gibt.

In Büchenbach ist zwar viel los, aber ich empfinde die Stimmung eher als gedämpft. Um den Teich herum erwarte ich steigende Euphorie in mir selbst, da es jetzt nach Hause geht. Im Gegenteil: ich bin total platt. Die Beine wollen überhaupt nicht mehr und die wenigen Meter ziehen sich wie Kaugummi. Wieder zurück auf der Straße geht es aber wieder besser. Ich bekomme mein ersehntes Koffeingel. Bergab Richtung Roth ruft uns jemand entgegen: „Gleich gibts das Finisherbuffet“. Eine Läuferin antwortet: „Gegessen haben wir echt genug, Massage ruft.“ Ein anderer ergänzt aus tiefster Seele „und ein Bier“ und ich mache den Wünschekatalog mit „einer Dusche“ komplett.

Wieder in Roth angekommen, folgen die letzten Kilometer und nun lässt sich nicht mehr leugnen, dass schon 200 Kilometer in den Beinen stecken. Ich kann immer noch nicht realisieren, was die genaue Kilometermarke ist. Aber ich weiß, dass es nicht mehr weit ist und ich bin sehr zufrieden bis hier gut durchgekommen zu sein. Von der Seite ruft jemand „Bravo Sisu, ich freue mich auf den nächsten Winterduathlon“ und kurz vor dem Markt kommt Felix Walchshöfer mit seinem E-Roller vorbei und fordert mich auf, die letzten Meter zu genießen.

Zieleinlauf als eine unter vielen

Irgendwie bin ich plötzlich – nach knapp 4h10 - auf dem grünen Teppich, erspähe die laut applaudierenden Sisus, die sich schon auf dem Weg vor dem Stadion platziert haben. Dann laufe ich in das berühmte Stadion ein und klatsche mit Felix Walchshöfer ab, der mit seinem E-Roller etwas schneller war.

Auf der Runde durch das Station schenke ich meinen Unterstützern das versprochene zauberhafte Lächeln und schicke ein paar dankbare Luftküsse ins Publikum. Leider höre ich weder meinen Namen noch eine Gratulation. Wird zwar erwähnt, geht aber in der Masse unter, da ich mir den Zieleinlauf mit mindestens 30 anderen Athleten teilen muss. Aus dem Zielsprung wird nur ein kleiner Hüpfer. Das liegt aber weniger an der verbrauchten Kraft, sondern eher daran, dass es so voll ist und ich keinen Platz habe. Ein Foto unter dem Zielbogen wird es später auch nicht von mir geben, da mich Athleten mit doppelter Körpergröße verdecken. Durch eine Traube von Menschen kämpfe ich mich zu der erstrebten Medaille vor, die mir aber auch mit wenig Euphorie übergeben wird. Ich klatsche noch nicht mal mit einem anderen Athleten im Ziel ab. Damit wird für mich der Zieleinlauf in das berühmteste Triathlonstadion der Welt eine herbe Enttäuschung.

Im Finisherzelt setzte ich mich erstmal mit etwas zu trinken auf eine Bierbank um etwas die Beine zu entlasten. Oja, die tun richtig weh! Zum Glück treffe ich einen Bekannten, der heute in einer Staffel geschwommen ist und bekomme so etwas Abwechslung. Dann hole ich den Wechselbeutel ab und trabe zur Dusche. Dem Chaos der Wechselzelte steht dieser Bereich nichts nach. Zudem kommt die Überraschung, dass es hier keine Geschlechtertrennung gibt. Aber es ist sowieso jeder mit sich selbst beschäftigt. Draußen muss ich noch nach ein paar Nudeln anstehen, bekomme aber immerhin zum Essen einen Platz zum Sitzen. Parallel versuche ich noch Andreas zu erreichen, weiß aber nicht, dass der Mobilfunk seit Stunden komplett überlastet ist. Nach mehreren Versuchen finden wir dann aber zusammen. Die Sisus treffe ich leider nicht mehr, und auch nicht mehr meine Mitstreiter. Klaus hat fabelhaft durchgezogen, Christian hat witzigerweise auf die Minute die gleiche Schwimm- und Marathonzeit wie ich geschafft. Matthias ist noch unterwegs und muss seinen Übermut vom Radfahren nun beim Laufen aushalten.

Noch ist der Tag nicht vorbei

So machen wir uns auf den Weg, Rad und Wechselbeutel abzuholen. Wo ist die zweite Wechselzone? Ich kann die Laufstrecke nicht rekapitulieren und tatsächlich müssen wir auch mehrere Helfer nach dem Weg fragen. An der T2 angekommen, stellt sich die nächste Frage: wie kommen wir zurück zum Auto? Meine Sachen bekomme ich schnell zurück, jemand zu finden, der uns den Weg zum Zentralparkplatz erklären kann, dauert deutlich länger. Wir finden einen Pfad durch den Wald, nach den vielen Zuschauern eine wirkliche Ruheoase. Nachdem alles im Auto verstaut ist, geht es jedoch nicht zurück in die Ferienwohnung, sondern auf das Veranstaltungsgelände.

Ich hatte mir vorgenommen, wenn es der Zustand zulässt, noch die Finisherparty zu besuchen. Und das hat sich tatsächlich gelohnt. Die Stimmung ist super, der Empfang der letzten Finisher wirklich emotional. Wir erfahren endlich, wie das Profirennen ausgegangen ist und bejubeln selbige beim Auftritt auf der Bühne. Die gespielten Partylieder sind uns komplett unbekannt, aber Licht und Feuer erfreuen uns umso mehr. In der Ferienwohnung sind wir erst nach eins, der längste Tag des Jahres war somit tatsächlich länger als 22 Stunden.

Challenge Roth – ich war dabei!

Es bleibt nun meine persönliche Bilanz zu diesem Rennen zu ziehen. In 11 Stunden und 15 Minuten habe ich die 226 Kilometer bewältigt. Auch wenn es hier meine vierte Langdistanz war, bleiben diese Zahlen für mich unbegreiflich und ich kann unmöglich sagen, ob ich mit der Zeit zufrieden bin. Aber ich bin mega stolz, wie ich das Rennen bestritten habe. Beim chaotischen Schwimmen nicht aus der Ruhe bringen lassen, trotz nasser Straße die Abfahrten mutig gemeistert und bis zum Schluss aufmerksam auf dem Rad geblieben, unfassbare Mengen an Zucker in meinen Körper geschoben, vom schwierigen Marathonstart nicht aus der Ruhe bringen lassen, dann recht gleichmäßig bis zum Ende durchgelaufen und dabei immer ein Lächeln auf den Lippen! Das Ergebnis ein kleines Zahlenspiel: im Jahr 2024 habe ich mit der Startnummer 2424 den 224. Frauenplatz ergattert.

Insgesamt halte ich die Challenge Roth definitiv als „ein Muss“ unter den Langdistanzrennen und ich möchte dieses Erlebnis nicht missen. Total eingenommen hat mich dieser Wettkampf aber nicht! Die Strecke ist wirklich traumhaft, aber für mich persönlich sind es einfach zu viele Athleten und Zuschauer – auch wenn für die vielen Menschen alles top organisiert war. Ich ziehe mehr Kraft daraus, wenn mich jemand persönlich anfeuert, als wenn mich tausende Leute anbrüllen. Daher wird für mich mein persönlicher Fanclub an der Strecke die schönste Erinnerung bleiben. Danke: Andreas, Susi, Christopher, Micha V., Dirk H., Reiner und Micha N.!

Mit Sisu im Herzen...

Dieser Tag macht die Entscheidung nicht einfacher, aber es war mein letzter großer Triathlon mit Sisu auf der Brust und im Startpass. Nach Umzug zurück in die Heimat habe ich beim TSV Cottbus ein neues Trainingszuhause gefunden und der Input meines Trainers Stefan Sünder hat einen wesentlichen Anteil an dem gelungenen Rennen in Roth. Da ist es naheliegend, die Farbe des Trikots zu wechseln, aber definitiv werde ich noch viele Wettkämpfe und noch mehr Trainingsstunden mit Sisu im Herzen bestreiten.

 


© TriGe Sisu Berlin; 18.7.2024