Entgegen unserer Präferenz für kleine und familiäre Veranstaltungen wählt mein Mann in diesem Jahr Wien für seinen Frühjahrsmarathon aus – klar, dass ich da auf die halbe Strecke an den Start gehe.
Schon am Freitag holen wir die Startunterlagen ab. Diese gibt es in der Marx Halle. Der Wienkenner weiß sicher sofort, wo diese liegt – als Fremdling ist man etwas verloren. Die Internetseite des Laufs verweist lediglich auf die nächstgelegene U-Bahn-Station – dort angekommen wäre man jedoch ohne Smartphone und Co verloren. Potenzielle Läufer sieht man aufs Telefon starrend vermeintlich zielgerichtet davonlaufen, jedoch dann schlagen sie unterschiedliche Richtungen ein. Dummerweise wählen wir den Weg durch einen völlig verschlammten Park, kommen jedoch ohne Ausrutschen an.
Die Messe ist nicht besonders groß, schnell bekommen wir unseren Starterbeutel. Dieser beinhaltet ein antivirales Nasenspray und Desinfektionsmittel – man geht halt mit der Zeit. Am Infostand erfahren wir, dass es keine offiziellen Tempomacher auf der Strecke gibt. Das finde ich für ein so großes Rennen sehr ungewöhnlich. Wir lassen uns noch Gepäcktransport erklären und erfragen mit welcher Anreisezeit wir zu rechnen haben. Dann machen wir uns einen entspannten Samstag mit Sissi und Kaiserschmarrn.
Das Winterwetter hält sich bis zu diesem Wochenende in Wien hartnäckig, aber pünktlich zum Rennmorgen ziehen zweistellige Temperaturen ins Land und Regen wird auch nicht erwartet. So machen wir uns mit der U-Bahn auf dem Weg zum Start. Die Verkehrsbetriebe wünschen auf den Anzeigen Erfolg beim Marathon, eine nette Geste. Wir folgen zum Start einfach allen anderen, denn auf der Internetseite gibt es alle möglichen Infos nur nicht wie die U-Bahn-Station am Start heißt. Ist wie gesagt bei den Menschenmassen auch nicht unnötig. Dreizigtausend Läufer sind angeblich an diesem Wochenende laufend unterwegs, etwa achttausend einzeln auf der Marathonstrecke. Zudem etwa 3000 Marathon-Staffeln und der Halbmarathon ist mit ca. 12000 Läufern am stärksten besetzt.
Jedenfalls ist es auf der Donauinsel im Bereich der Vereinten Nationen recht voll. Wir laufen einmal den gesamten Startbereich ab, um unsere Kleiderbeutel bei den vorgesehenen LKWs abzugeben. Dann wünschen wir uns Glück, und ich kämpfe mich wieder nach vorn - denn mich hat man mit einer Zielzeit von 1:30-1:50 in den Startblock zwei gesteckt. Um Platz zu finden mich etwas warm zu laufen muss ich bis ganz vorn. Hier beobachte ich, dass Elite Starter und Block eins auf der rechten Fahrbahn starten. Mein Block ist auf der linken Seite, allerdings steht der Startbogen etwa 200 Meter weiter hinten. Wird schon seine Richtigkeit haben denke ich mir, als ich mich zwischen die Massen drängele. Ein paar wenige stehen hier noch mit Maske, aber sonst scheint die Pandemie auch hier vergessen zu sein. Bald fällt der Startschuss und ich gehe mit den anderen zu unserem Startbogen. Da liegen Zeitmatten. Hm? Ist das jetzt meine Startlinie? Warum sind die auf der rechten Seite weiter vorn gestartet? Ich drücke den Start meiner Uhr. Das Feld beginnt zu traben, nicht wirklich zu laufen. Tempo wird erst in der Höhe des Startbogens auf der rechten Seite aufgenommen. Zeitmatten liegen da aber keine mehr. Ich bin verwirrt! Nach dem Rennen durchforste ich noch mal intensiv das Internet nach einer Erklärung dafür, lediglich ein Kommentar eines Fernsehmoderators bringt Aufklärung. Nach etwa zwei Kilometer führt die Strecke über den Praterstern und auf der rechten Fahrspur ist die Strecke entsprechend länger – und wird so ausgeglichen. Während ich noch so über den missglückten Start grübele, habe ich den ersten Anstieg über die Donaubrücke bewältigt. Dabei ist es echt voll, ich muss mich durch die Läufer schlängeln. Eins ist klar: auch hier haben sich wieder hunderte in den falschen Startblock gestellt. Mit den vielen Läufern beschäftigt fällt mir kurz vor dem Ende der Brücke ein: schau mal nach links, damit Du die Donau im Rennen gesehen hast. Nun sind schon zwei recht langsame Kilometer rum, Zeit ins Lauftempo zu kommen. Bestzeitambitionen habe ich heute nicht, will mich aber schon fordern und in etwa eine Pace von 4:45 anpeilen – mal sehen was so geht.
Wir biegen in die Hauptallee des Praters ein, mit nettem Blick auf das Riesenrad. Auch wenn die ein oder andere Information bezüglich des Rennens eher spärlich war, wurde doch ausdrücklich erwähnt, dass die Hauptallee einen Großteil der Strecke von Eluid Kipchoges Sub-2h Marathon ausmachte. Nun befinde ich mich auf der Hauptallee, die einen Großteil der Strecke von Eluid Kipchoges Sub-2h Marathon ausmachte. Wirklich schöner glatter Asphalt unter den Füßen und ein Blätterdach der Parkbäume über dem Kopf. Warum ist es hier so nass? Die Reste des letzten Regens oder wurde ich die Straße noch mal gereinigt? Die Kombination mit den höheren Temperaturen führt zu einer fast unerträglichen Schwüle. Mir steht der Schweiß auf der Stirn und ich bin froh das ärmellose Shirt gewählt zu haben.
Die Strecke verlässt den Prater und es geht Richtung Innenstadt. Fünf Kilometer sind schon rum, die Luft wieder etwas besser, die Uhr perfekt im soll aber so richtig laufen will es heute nicht. Ich schaue, ob ich mich vielleicht mit jemand zusammentun oder anhängen kann, aber das Feld um mich rum und ich mittendrin sind ziemlich unrhythmisch. Ich muss immer noch recht viele überholen, einige kommen noch vorbei. Wir laufen am Donaukanal entlang, aber viel von der Stadt erfasse ich nicht.
Die Strecke biegt Richtung Westen ab, Hälfte der Strecke mit Versorgungsstation ist passiert. Zu Überlegungen bezüglich des Lauftempos komme ich nicht, denn ein starker Wind kommt plötzlich von vorn. Dummerweise geht die Laufstrecke jetzt etwa 5 Kilometer in diese Richtung. An jeder kleinen Kurve hoffe ich, dass eine Häuserwand bald Schutz bietet. Keine Chance. So versuche ich mich hinter anderen Läufern zu verstecken, was mir dann hinter zwei Tschechen eine Weile gelingt. Also, ich laufe direkt hinter den beiden, aber den Wind merke ich immer noch heftig. Die Tschechin bricht nach einer Weile weg, kurz darauf verliere auch ich in einem unachtsamen Moment den Anschluss an den Tschechen.
Der Blick auf Schönbrunn, eine neunzig Grad Kurve und die Versorgungsstation retten mich… denke ich. Jetzt nur noch nach Hause laufen, da sollte es Rückenwind geben. Aber ich kann das Tempo kaum halten, ja muss mich richtig quälen. So hatte ich mir das heute nicht vorgestellt, wollte eigentlich die Strecke genießen. Die Kilometerzeiten sind nun etwas langsamer, aber ich fühle mich als wäre ich eingebrochen. Was mich bei der Stange hält: den Läufern um mich rum scheint es genauso zu gehen, auf jeden Fall sehen die meisten verbittert aus (oder ich interpretiere es so). Dennoch werde ich nicht eingesammelt – im Gegenteil ab und zu kann ich sogar noch überholen. Es geht durch eine Einkaufsstraße und vorbei an Cafés mit jubelnden Zuschauern. Stimmung von außen ist gut, bei den Läufern erst mäßig.
Plötzlich ist die Straße abschüssig, es geht steil bergab. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen – das Höhenprofil hat auf der zweiten Streckenhälfte einen leichten Anstieg verzeichnet. Ich hatte das total vergessen und nicht wirklich bemerkt (außer natürlich, dass ich langsamer war). Diese Erkenntnis rettet den Lauf nun auch nicht mehr. Es geht Richtung Ziel vorbei an den imposanten Gebäuden der Wiener Museen. Diese sehe ich aber kaum, da die Streckenränder voll mit Zuschauern gefüllt ist, die auch ordentlich Stimmung machen. Der Zielteppich ist erreicht, erst blau dann in einem lila das kräftigt in die Augen beißt. Die Uhr bleibt bei 1:43h stehen – wenn ich den Lauf genossen hätte, wäre ich damit zufrieden. Aber für ein Zielfoto ist das Lächeln wieder da. Leider komme ich hier im Zielbereich mit niemanden in Gespräch, sind alle sofort weg. Lieblos bekomme ich eine Verpflegungstüte in die Hand gedrückt und trabe zum LKW meine Sachen abholen.
Dann warte ich an der Marathonstrecke, bis mein Mann vorbeikommt. Der Athlete Tracker funktioniert wunderbar und so verpasse ich ihn nicht. Ich laufe ein paar Schritte mit und verabschiede mich dann. Er geht davon aus, dass wir uns im Ziel wieder sehen. Ich habe aber andere Pläne: schnell ins benachbarte Hotel duschen und dann ab mit der S-Bahn zum Praterstern bei Kilometer 27. Ich komme dort zu spät an, mein Mann ist schon durch. Also weiter zum Stadion. Kurz nach Kilometer 30 gibt’s da eine Wendeschleife. So kann ich ihn hier überraschen ("huch, da bist Du ja") und gut anfeuern.
Dann ziehe ich weiter zur Prater Hauptallee. Hier hat übrigens Eluid Kipchoge den Sub-2h Marathon bewältigt. Die Marathonstrecke geht hier als weitere Wendeschleife entlang um dann nach Kilometer 35 wieder in Richtung Stadt abzubiegen. Somit habe ich das große um die 4 Stunden Feld im Blick – und bin etwas enttäuscht. Während der Rand der Hauptallee, auf der Eluid Kipchoge... Ihr wisst schon..., mit reichlich Publikum bestückt ist, ist es auf der Strecke etwas langweilig. Scheinbar trabt jeder vor sich hin, Verkleidungen sieht man fast nicht. Ich komme mit ein paar anderen Supportern ins Gespräch, die dann im lauten Chor meinen Mann mit anfeuern. Ich laufe ein paar Meter mit und verabschiede mich bis zum Ziel.
Zurück in der U-Bahn ändere ich spontan meine Pläne: auf dem Zielteppich braucht man keine Unterstützung mehr, also fahre ich zu Kilometer 41. Mittlerweile ist der Himmel strahlend blau und die Temperaturen fasst zweistellig. An der Oper ist eine Bühne aufgebaut und es läuft laute Musik. Mein Mann kommt schweren Schrittes an, aber immerhin läuft er noch. Ich begleite ihn wieder ein paar Meter und schicke ihn auf den letzten Kilometer. Der schnellste Weg zum Zielbereich ist nun jedoch die Laufstrecke, so dass ich am benachbarten Fahrradweg mit bzw. vorlaufe und ihn noch etwas anfeuern kann. Den Zieleinlauf sehen kann ich nicht, ihn im Ziel begrüßen wegen der Absperrungen auch nicht. Der Nachteil von Großveranstaltungen. Ich brauche auch noch 20 Minuten, um mich bis zum Ausgang des Zielbereiches durchzuschlagen – glücklicherweise finden wir uns da ("das Sisu-Shirt erkennt man immer gut").
Auch er ist heute nicht zufrieden mit seinem Lauf und findet ein Fazit, dass mir aus dem Herzen spricht: Ein paar Dinge wie der Zieleinlauf auf dem Teppich und die jubelnden Massen sind toll, aber sonst ist es total unpersönlich. Man ist mit tausenden von Leuten unterwegs, die die gleiche Leidenschaft teilen aber ein Gefühl von Gemeinschaft kommt nicht auf. Von den touristischen Highlights an der Strecke hat auch er wenig mitbekommen und wenn ihn nicht ein paar Polen wegen seines T-Shirts des Warschau-Marathon angesprochen hätten, hätte er auch mit niemanden ein Wort gewechselt.
Aber das scheint unser persönlicher Eindruck zu sein. Ich kenne viele Fans des Wien-Marathon und 30.000 Läufer können nicht irren. Wer also ein Herz für Großveranstaltungen dieser Art hat, findet sicher auch beim Wien-Marathon sein Glück, ich freue mich jedenfalls schon auf die kleinen Wettkämpfe in diesem Jahr.