von Dirk Bettge
Wieder ist ein Vierteljahr um, dies war nun das dritte Vierteljahr, seit am 13.3. die Sportstätten geschlossen wurden – damals erstmalig, müssen wir jetzt hinzufügen. Denn nach vorsichtigem Optimismus im Sommer (s. Mittsommer), einzelnen Wettkämpfen und Beginn der zweiten Welle im September (s. Herbst) stehen wir kurz vor Weihnachten wieder dort, wo wir im April schon einmal waren und nie wieder hinwollten. Vor dem letzten Adventswochenende ist es daher an der Zeit für einen weiteren vorsichtigen Ausblick.
Wenn Leute, die sonst eher zu den harten zählen, sagen, es sei zum Heulen, dann gibt das die aktuelle Stimmung wohl ganz gut wieder. Trotz guten Willens sind viele jetzt emotional angeschlagen angesichts dessen, dass Weihnachten größtenteils abgesagt ist. Im Frühjahr beim ersten Lockdown haben wir noch gesagt "schau, was für ein schöner Frühling, gut, dass nicht Winter ist", haben auf dem Rad die Straßensaison begonnen und sind früher als sonst mit Neo in die kalten Seen gestiegen, alles im Bewusstsein des jahreszeitlich schöner werdenden Wetters. Leider ist jetzt Winter, es geht irgendwie von vorn los, und wir müssen das beste draus machen, hilft ja nix. Z.B. sind Domenic und ich unter die Filmschaffenden gegangen und bereiten das nächste Trainings-Video vor – mangels eigener Draußen-Bilder streue ich ein paar Screenshots als Teaser ein.
Schauen wir etwas weiter zurück – Berichte über historische Pandemien werden derzeit besonders genau unter die Lupe genommen, um etwas zu lernen, beispielsweise die sogenannte spanische Grippe, die in der letzten Zeit des ersten Weltkriegs vor gut 100 Jahren in Europa, Amerika und anderswo Millionen dahingerafft hat und recht gut dokumentiert ist. Diese Grippe war offenbar so tückisch, weil sie nach erschreckend kurzer Inkubationszeit gerade Jüngere schwer traf, deren Immunsystem zu selbstzerstörerischem Übereifer angeregt wurde und zu Lungenversagen führte. Hinzu kam die schlechte Versorgung der gesamten Bevölkerung in Europa und der Soldaten in ihren Gräben nach 4 Kriegsjahren.
Image: courtesy of the National Museum of Health and Medicine, public domain, via Wikimedia Commons, H. Nicholls: "Pandemic Influenza: The Inside Story", PLoS Biology (4/2) 2006.
Auch damals gab es erste größere Ausbrüche, die bald unter Kontrolle schienen, aber es gab eine zweite Welle, die sich flächendeckend ausbreitete. Wie jetzt in 2020 ergriff man 1918 Maßnahmen zur Eindämmung: Quarantäne, Isolation, Lockdown von Wirtschaft und Kultur, Schließung von Schulen – kommt uns alles irgendwie bekannt vor. Nach ersten Erfolgen der Eindämmung kamen Lockerungen und dann etwas später die heftigere zweite Welle. Nach etwas über einem Jahr war der Spuk größtenteils vorbei – ohne Impfstoff, sondern durch Herdenimmunität und vermutliche Mutation des Virus in eine leichtere Variante.
Zurück in die Zukunft – haben wir denn nichts gelernt? Ich glaube, so einfach ist es nicht. Den Fachleuten z.B. vom Robert-Koch- oder Paul-Ehrlich-Institut war klar, was wahrscheinlich in 2020 passieren würde, aber wir alle gehen eben nicht einfach in Schockstarre wegen irgendwelcher alten Geschichten, deren letzte Augenzeugen gerade aussterben. Und sind wir heute nicht viel besser gerüstet? Die ganze Zeit über realisieren wir daher nur scheibchenweise, dass die Sache länger dauert.
Ganz am Anfang hatten wir mit fasziniertem Grusel nach China geschaut. Als es bei uns ankam, hofften wir, dass es nicht so schlimm würde. Als die Kurve unübersehbar exponentiell wurde, kam der erste Lockdown. Und erinnert euch: Auf den Straßen war es gespenstisch leer, alles war dicht, auch die großen Industriebetriebe waren wegen eingebrochener Lieferketten im Zwangsurlaub. Das hat die Verbreitung des Virus tatsächlich gestoppt und scheinbar fast ausgerottet. Ich erinnere mich noch an die abstandsuchende Höflichkeit ("bitte nach Ihnen!") der Kunden im Lebensmittel-Supermarkt – seid ehrlich, das gibt es so nicht mehr.
Nachdem wir dachten, es kostet uns "nur" die Sommersaison 2020, wurde uns klar, dass es Ende 2020 nicht vorbei sein würde. Aber 2021 ist alles wieder gut – oder? Oder?? Wieder realisieren wir scheibchenweise, dass es so einfach nicht wird. Wir befinden uns im Lockdown der zweiten Welle, der erst in seiner zweiten Stufe jetzt vor Weihnachten annähernd an den ersten im März herankommt und dann vielleicht Wirkung entfaltet, die vor allem anderen darin bestehen sollte, dass das Krankenhaus-System nicht zusammenbricht und die Bestatter hinterher kommen. Wie lange wird der neuerliche Lockdown gehen? Der Termin 10.1.2021 wird Stand heute nicht das Ende der Maßnahmen sein. Ein volles Jahr wird im März 2021 herum sein. Und dann?
Im Gegensatz zu 1918 kennen wir heutzutage die verursachenden Viren, können sie sichtbar machen, analysieren, sequenzieren und gezielt Impfstoffe dagegen entwickeln. Das gibt uns die Möglichkeit, auch ohne hohe Durchseuchung die Epidemie abzuwürgen. Aber bis wir Normaltriathleten geimpft werden (leider nicht system-relevant), wird es vermutlich Sommer sein, und bis alle, die wollen, ihre Dosis (oder müssen es zwei sein?) bekommen haben, wird 2021 wohl ebenfalls Geschichte sein. Wie effektiv die Impfungen sind, wird sich auch noch herausstellen müssen, das neue große Experiment beginnt gerade. Was bedeutet das für unseren Sport?
Wird es eine Wettkampfsaison 2021 geben? Falls ja, wie wird sie aussehen? Wir planen ja gerade unseren Sisu-Winterduathlon maßgeschneidert für die aktuellen Auflagen, die bei Veranstaltungen maximal 100 Personen gleichzeitig und unter Abstandsregeln zulassen. Das kriegen wir mit ein paar Änderungen im Ablauf hin, trotzdem ist es nicht klar, ob wir für Ende Februar eine Genehmigung erhalten werden.
Wenn die Hygiene-Maßnahmen mit zunehmendem Impferfolg gelockert werden sollten, dann werden auch größere Wettkämpfe wieder möglich sein, aber immer noch mit Abstandsregeln, Masken im Orgabereich und ohne Zuschauer, also wie letztens im September. Für die meist kleinen Duathlons in der Vorsaison besteht also Hoffnung, aber sie kommen vielleicht zu früh. Bei den folgenden Triathlons wird eher das Problem sein, dass wir seit langer Zeit kein Schwimmtraining hatten. War das diese Saison noch kein ernstes Problem, so ist ein Jahr Trainingsausfall beim Schwimmen durchaus ein Sicherheitsproblem.
Es mag aber sein, dass größere Sportveranstaltungen weiterhin untersagt werden, um nicht die dritte Welle zu riskieren (vergl. Graphik von 1919 weiter oben). Dann wird die Saison 2021 ebenfalls größtenteils nicht stattfinden. Vielleicht sollte man nicht so pessimistisch sein in dieser Hinsicht, aber die Möglichkeit in Betracht ziehen, das sollten wir schon. Was macht das mit unserem Sport und dem Vereinsleben?
Wir brauchen jedenfalls noch einen langen Atem (den haben wir Triathleten) und viel Geduld (haben wir nicht immer). Ich denke, es ist umso problematischer, je jünger man ist. Leute wie ich sind mit den meisten Dingen durch im Leben oder warten eh auf die nächste Altersklasse, das ist nicht das Problem. Aber wer neu dabei ist und noch kaum jemanden kennt im Verein, wer gerade mit dem Sport anfangen will oder sportliche Ziele hat, der hat jetzt mehr Ausfall als Zeit auf der Haben-Seite. Auch unsere Jugend steht mit reduziertem Training da (immerhin), aber ohne Wettkämpfe, und wer älter als 12 Jahre ist, hat komplett Pech.
Auf jeden Fall bleibt Sisu am Ball, denn als e.V. haben wir immerhin keine Geldsorgen, weil wir ja kaum Ausgaben haben. Unsere Trainer machen das auch überwiegend als Hobby, auch die werden am Beckenrand oder an der Laufbahn stehen, sobald das wieder möglich ist. Auf der Whats-App-Gruppe herrscht wie immer reger Betrieb, und man trifft sich zum gemeinsamen Zwift-Training im virtuellen Raum. Haltet also durch und macht das Beste draus. Vielleicht zünden wir Silvester mangels Pyrotechnik einfach unseren Weihnachtsbaum an...